piwik no script img

Kulturoase im Köpenicker Kietz

■ Heute feiert das alternative Kulturprojekt "Alte Möbelfabrik" dreijähriges Jubiläum / Ungewisse Zukunft wegen ungeklärter Eigentumsverhältnisse

Köpenick. Kiez – das klingt nach Leben auf der Straße. In dem Köpenicker Neubaugebiet Kietz ist das anders: Es ist mehr oder weniger eine Kulturwüste. Jedenfalls war es das bis März 1990, als sich sechzehn Köpenicker Kulturschaffende zusammenfanden und ein halbverfallenes Gebäude einer ehemaligen Möbelfabrik in der Karlstraße 12 besetzten. Mit dabei waren eine Tanzpädagogin, eine Kulturwissenschaftlerin und ein Puppenspieler. Heute feiert die „Alte Möbelfabrik“ ihr dreijähriges Bestehen mit einem Fest.„Die Anwohner kochten für uns und beteiligten sich bei den Instandsetzungsarbeiten“, erzählt Mitinitiatorin Andrea Wendt von den Anfängen in der Wendezeit der DDR. „Durch eine Spendenaktion konnte ein Teil der Inneneinrichtung angeschafft werden.“ Noch am Tag der Besetzung wurde mit der benachbarten Polizeistation eine „Sicherheitspartnerschaft“ verabredet. Denn auch den Uniformierten gefiel die Aktion.

Die Künstlerinnen und Künstler präsentierten bald ein vielseitiges Kulturprogramm: Für Kinder gab es Kurse im Malen und Töpfern, sie konnten Puppenbau und -spiel, klassisches Ballett oder auch Kautschukakrobatik erlernen. „Die Kinder waren von Anfang an begeistert dabei, weil sie sich hier ausprobieren konnten“, sagt Andrea Wendt.An den 34 angebotenen Kursen nehmen inzwischen wöchentlich rund 650 Menschen teil – ein Beweis, wie gut sich die alternativen Kulturaktivisten auf die Bedürfnisse im Kietz einzustellen wußten. Für Jugendliche ist das Haus zum Treffpunkt geworden, weil das Café auch noch offen bleibt, wenn die Jugendclubs in der Umgebung abends um elf Uhr dichtmachen. Im Haus finden Filmvorführungen, Lesungen, Theateraufführungen und Konzerte statt. Psychisch Behinderte, Körperbehinderte, verhaltensgestörte Kinder und Jugendliche finden hier Betreuung, es gibteine Selbsthilfegruppe für Süchtige.

Trotz aller Beliebtheit ist die Zukunft des Projekts ungewiß. Die Zuschüsse des Arbeitsamtes für die sieben angestellten ABM- Kräfte sollen in einem halben Jahr auslaufen, ohne daß neue in Sicht wären. Bedrängend ist aber auch die ungeklärte Eigentumsfrage: Da eine Erbengemeinschaft Ansprüche auf das Haus erhebt, erklärt sich die Köpenicker Wohnungsbaugesellschaft als deren Treuhänder nur zum Abschluß einjähriger Mietverträge bereit. Zudem will sie ab Oktober eine Gewerbeflächenmiete erheben, womit sich die Miete samt Betriebskosten auf über 9.000 DM erhöhen würde. Die Projektleiterin Birgit Grimm: „Das bringen wir nicht auf.“Sie kann sich jedoch vorstellen, daß sich die Anwohner, wenn es ernst wird, tatkräftig für die „Alte Möbelfabrik“ einsetzen würden. Aber sie hält es für gefährlich zu glauben, daß man die Kulturoase von Köpenick „allein über die politische Schiene“ retten könne. „Als wir 1990 begannen, bewegten wir uns noch in einem rechtsfreien Raum“, sagt sie. „Doch jetzt geht das Eigentum vor. Wenn die Alteigentümer ein besseres Investitionskonzept haben als wir, dann sind wir das Haus ganz schnell los.“ Nikolas Müller-Plantenberg

Das „Jubelfest“ beginnt heute um 11 Uhr mit einem Frühschoppen. Nachmittags : Kinderkino, abends: türkisch-irischen Speedfolk, Pantomime.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen