: „Der Strich wurde geschlossen, dann passierte gar nichts“
■ Fünf Monate nach der Zerschlagung des Drogenstrichs: Zwei Drogenarbeiterinnen und eine Abhängige ziehen eine erste Bilanz
Seit November letzten Jahres setzt der Senat sein Repressionskonzept gegen den Drogenstrich in der Friesenstraße durch. Manuela K. hat zweieinhalb Jahre als Krankenschwester im „Drogenbus“ der Bremer Hilfe gearbeitet. Ulrike B. war dort eineinhalb Jahre als Sozialarbeiterin tätig. Der Bus hat bis November drogenabhängige Prostituierte nachts versorgt und betreut. Beide Frauen arbeiten auch jetzt noch in der Szene. Sabine X. ist drogenabhängigig und hat in der Friesenstraße als Prostituierte „geackert“.
Seit November wird die Zerschlagung des Drogenstrichs in der Friesenstraße umgesetzt. Als Angebot für die drogenabhängigen Frauen hatte der Senat die Erweiterung des Methadonprogramms beschlossen und Wohnraum für die obdachlosen Drogenabhängigen. Was ist aus all dem geworden?
„Ständig sind da neue Frauen“
Manuela K.: Der Straßenstrich ist natürlich nicht weg. Die Frauen sind jetzt vereinzelt, verstreut über mehrere Stadtteile. Die, die jetzt noch in der Friesenstraße stehen oder in der Humboldtstraße, gegen die wird massiv vorgegangen. Sie werden mit Bußgeldern belegt und so weiter. Das Pola-Programm (Methadon, d. Red.) ist jetzt erst angelaufen, im Januar.
Ulrike B.: Das Polamidon- Programm lief erst Monate später an, daß heißt, es gab einen langen Zwischenraum, wo der Frauenstrich offiziell aufgelöst war und für die Frauen nichts gemacht wurde. Das Programm ist nur für 40 Frauen, es ist jetzt voll. Was dabei nicht bedacht worden ist: Ständig sind da neue Frauen.
Die Idee hinter dem Senatsprogramm war, den Frauen im Methadon-Programm die Notwendigkeit zu nehen, für Heroin sorgen zu müssen und ihnen so den Strich zu ersparen...
Sabine: Die Frauen nehmen doch nicht nur Heroin, die nehmen Kokain, Tabletten, alles, was breit macht
Trotz Methadon?
Sabine: Ja.
Neuer Drogenstrich HumboldtstraßeFoto: Tristan Vankann
Und dafür gehen die Frauen weiter anschaffen?
Sabine: Ja.
Ulrike B.: Methadon neutralisiert nur die Entzugserscheinungen von Heroin. Wenn du vorher auch andere Sachen genommen hast, hast du entsprechend Entzugserscheinungen, die bleiben natürlich auch mit Methadon.
Was ist aus den Frauen geworden, die bis November nachts in den Bus gekommen sind oder in die Schmidtstraße?
Manuela K.: Im großen und ganzen ist der Kontakt verloren, neue Frauen erreichen wir nicht mehr. Alles, was wir im Bus besprochen haben, Aids-Prävention, Kondome, Aufklärung über Sexualpraktiken, Spritzentausch, so etwas wird nicht mehr gemacht.
Ulrike B.: Wir hören jetzt nur noch: Die Freier werden brutaler, sie werden verfolgt wegen illegaler Prostitution, es hagelt Bußgelder, und die Frauen trauen sich nicht mehr, Anzeige gegen gewalttätige Freier zu erstatten, weil sie dann selbst belangt werden. Und der Kontakt unter den Frauen ist abgebrochen, Früher konnten sie die Preise absprechen, konnten sich vor gewalttätigen Freiern warnen, heute müssen sie sehen, daß sie nicht aufgegriffen werden.
Gibt es denn überhaupt Frauen, die durch das Senatsprogramm
hier bitte das etwas
verschwommene Foto
mit Mann und Frau
vom Strich verschwunden sind?
Sabine: Ja, ich zum Beispiel, ich geh' nicht mehr, ich hab' einfach Angst gekriegt und es hat mich angewidert.
Aber dann ist das Senatsprogramm doch erfolgreich?
Sabine: Aber es kommen ganz viele neue Frauen, und ich bin wirklich eine Ausnahme.
„So viele Wege in die Sucht führen, so viele Möglichkeiten müssen auch sein, wieder 'rauszukommen: Polamidon ist kein Heilsweg“
Ulrike B.: Natürlich hat das Programm was gebracht, und es hat auch geholfen. Es ist nur so, daß das im Moment die einzige Maßnahme ist, die läuft, und das kann kein Allheilmittel sein. Für viele dieser 40 Frauen, die da neu ins Pola-Programm aufgenommen wurden, war das eine Notlösung. Die haben sich gedacht: Gut, bevor ich aufgegriffen werde, nehm' ich das Pola, aber das ist natürlich keine gute Voraussetzung für eine erfolgreiche Methadon-Therapie. Ich denke, so viele Wege in die Sucht führen, so viele Möglichkeiten müssen auch da sein, wieder ‘rauszukommen: Polamidon ist kein Heilsweg.
Manuela K.: Die Erfahrung, die wir in der Friesenstraße gemacht haben, ist so gewesen, daß zum Winter hin immer weniger Frauen auf dem Drogenstrich waren als im Sommer. Das war signifikant. Im Winter war immer nur ein ganz bestimmter harter Kern da. Von daher mag es so anmuten, als sei es weniger geworden. Warten wir mal auf den Sommer. Es ist illusorisch, daß das alles mit Polamidon wegzubekommen ist. Prostitution gibt es nicht ohne Freier, und die laufen da immer noch ‘rum, und die Frauen machen da auch noch ihre Geschäfte. Man hat die Frauen vertrieben und hackt auf denen rum, anstatt sich an die Freier ‘ranzumachen.
Sind die Preise auf dem Strich gefallen, wie die Frauen befürchtet haben?
Sabine: Ja, bis zu 50 Prozent. Manche fahren schon für 25 Mark mit, um sich ein Päckchen Heroin kaufen zu können. Da kommen heute Freier, die bieten dir 50 Mark dafür, daß du mit denen eine Nacht nach Hause sollst. Die Freier wissen, daß es für die Frauen schwerer geworden ist, die nutzen das aus.
Der Senat ist im September, als die Entscheidung zur Zerschlagung des Drogenstrichs gefallen ist, von 80 bis 120 Prostituierten ausgegangen. Wie hoch ist die Zahl jetzt?
Manuela K.: Das kann man überhaupt nicht sagen. Es gibt Frauen, die durch das Senatsprogramm vom Strich heruntergekommen sind. aber es sind nur einzelne, die in bestimmten sozialen Gefügen stecken, die irgendwie noch soziale Kontakte hatten, wo Eltern sich kümmern, Freunde, Verwandte. Dann gibt es Frauen, die trotz des Polamidon-Programms weiter Beigebrauch haben. Diese Frauen sind
„Bislang ist erst eine Wohngemeinschaft aufgemacht worden, da wohnen sechs Frauen, sonst hat sich beim Wohnraum-Programm noch nichts getan
sehr stark verelendet, die rutschen immer tiefer, weil sie sich nicht mehr auf der Szene aufhalten dürfen. So makaber es klingt, aber auch die Szene ist eine Art letztes soziales Gefüge, durch das die Frauen jetzt durchrutschen. Bislang ist erst eine Wohngemeinschaft aufgemacht worden, das war jetzt im März, da wohnen sechs Frauen, sonst hat sich beim Wohnraum-Programm noch nichts getan. Erst wurde Pola ausgegeben, dann passierte gar nichts mehr.
Sabine: Erst wurde der Strich geschlossen, dann passierte gar nichts, dann, Ende Januar, gab's endlich Pola. Vorher war ich zur Entgiftung im Krankenhaus, danach sollte ich in's Betreute Wohnen. Ich bin jetzt aus dem Krankenhaus ‘raus, und was ist mit Betreutem Wohnen? Ich wohne im Augenblick im Hotel.
Manuela K.: Das Senatsprogramm hätte eine Möglichkeit sein können, gegen die Verelendung etwas zu machen, wie gesagt, eine Möglichkeit. Man hätte nicht alle Frauen erreicht, aber diejenigen, die die Möglichkeit gehabt hätten, sich freiwillig für dieses Senatsprogramm zu melden, die hätten es dann auch geschafft. Was jetzt passiert, ist, daß die Frauen in ein Programm gezwungen werden, das kein Programm ist. Natürlich ist Wohnraum ein ganz wesentlicher Bestandteil des Konzeptes: Die Frauen müssen irgendwo essen, schlafen, sich treffen und so weiter. Die müssen ja alle Aktivitäten neu lernen, dadurch, daß man ihnen nur Pola gibt, lernen sie das doch nicht. Das schaffen nur ganz wenige.
Ulrike B.: Für viele fangen die Probleme mit dem Beginn der Polamidon-Behandlung erst an. Mit dem Pola kommt bei vielen hoch, was durch die Drogen jahrelang zugeschaufelt worden ist. Da geht's erst los, und dann tut sich da ein langer leerer Tag auf, an dem man sich nicht auf der Szene aufhalten soll und auch sonst nichts zu tun hat, weil man immer in diesem Umfeld war. Dazu kommt, daß viele Frauen, die im Methadonprogramm sind, in Hotels oder im Container oder sogar auf dem Schiff nächtigen. Daß heißt: Zusammen mit Aktiv-Gebrauchern.
Sabine: Stell Dir das mal vor, wie das läuft, da gehst du nachts auf's Schiff, und die ballern da wie verrückt, und einer sagt, komm, wir machen uns ‘n Druck, ist doch klar, daß derjenige trotz Pola denkt, au ja, willst'e auch gerne.
Manuela K.: Außerdem gibt es Abhänigige, die kein Betreutes Wohnen wollen. Die ihre eigene Wohnung haben wollen, die die gleichen Wünsche und Bedürfnisse haben wie jeder andere Mensch auch. Und die kein Betreutes Wohnen brauchen.
„Wir haben eine Menge Plätze im Betreuten Wohnen, die als Übergangseinrichtungen geplant waren, da wohnen die gleichen Leute über Jahre“
Ulrike B.: An dieser Stelle geht dann meist der Schritt ins normale Leben nicht, weil es keine Wohnungen gibt. Wir haben eine Menge Plätze im Betreuten Wohnen, die als Übergangseinrichtungen geplant waren, und da wohnen die gleichen Leute über Jahre, weil danach nichts ist.
Sabine: Der Senat ist bei diesem Programm einfach von hinten angefangen. Erst wurde der Strich geschlossen, dann kam das Pola, dann die ersten Wohnungen. Wenn man was anfängt, sollte man doch von vorne anfangen, nicht von hinten, oder?
Fragen: Markus Daschner
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