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„Bloß keine Rührungstränen“

■ In den Medien überwiegt bei Berichten über Behinderte immer noch die Mitleidsperspektive/ Behinderte werden auf ihre Behinderung reduziert

Berlin (taz) – „Zwei Klischees von Behinderten beherrschen immer noch die Medien. Entweder werden sie als bemitleidenswerte Wesen dargestellt, die auf Almosen angewiesen sind, oder sie sind ,Ausnahmebehinderte‘, die trotz ihrer Behinderung etwas leisten“, kritisierte Sigrid Arnade, Teilnehmerin einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Messe „integration '93“ in Berlin. Die freie Journalistin, die selbst im Rollstuhl sitzt, machte deutlich, daß Behinderte nicht mehr Objekt der Fürsorge sind, sondern Subjekte. „Diesen Perspektivenwechsel haben die Medien noch nicht vollzogen.“

Arnade sprach sich dafür aus, Behinderte nicht auf ihre Behinderung zu reduzieren. „Das ist nicht das prägende Merkmal dieser Menschen.“ Als Beispiel nannte sie einen Bericht über einen Goldmedaillengewinner bei den Paralympics. Über sein Ergebnis beim Weitsprung wurde kein Wort verloren; im Mittelpunkt stand, daß der Sieger nur ein Bein hat. Daß es zu solchen Schieflagen kommt, führte sie nicht zuletzt darauf zurück, daß meisten nicht die Sportredaktion über die Paralympics berichtet, sondern das Ressort Gesundheit und Soziales.

Arnade kritisierte auch das derzeitige Modethema der Medien: Gewalt gegen Behinderte. „Das ist nur die Eskalation der alltäglichen Gewalt, die von der Gesellschaft geduldet wird.“ Als Beispiel für „juristische Gewalt“ nannte sie das Aussondern von behinderten Kindern in Sonderschulen, ganz zu schweigen von der „baulichen Gewalt“ in Form unüberwindlicher Treppen, und „psychologische Gewalt“. Wie kein anderes weist das Thema Gewalt den Behinderten die Opferrolle zu.

Scarlett Duncan vom Verband der Kriegsopfer, Behinderten und Rentner (VdK), der zu der Veranstaltung eingeladen hatte, kritisierte, daß sich die Berichterstattung über Behinderte hauptsächlich auf das Thema Heimunterbringung beschränkt. Das Bild der an den Rand der Gesellschaft Abgeschobenen präge sich dadurch immer stärker ein. Daß Behinderten ein autonomes Leben zustehe und daß sie seit Jahren für mehr ambulante Einrichtungen kämpften, die ihnen dies ermöglichen, werde nicht wahrgenommen. Bei US-Spielfilmen hat sie dagegen einen positiven Trend ausgemacht: in Straßenszenen kommen als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft zunehmend auch Blinde oder Gehbehinderte ins Bild.

Heinz-Reiner Bönning stieß im Herbst 89 zur damals entstehenden Behindertenbewegung der DDR. Heute moderiert er die halbstündige TV-Sendung „selbstbestimmt“, die einmal im Monat von den ARD-Regionalprogrammen ausgestrahlt wird. Er will JournalistInnen Mut machen, an das Thema Behinderte genauso kritisch ranzugehen wie an jedes andere Thema auch. „Nicht daß denen plötzlich die Rührungstränen kommen.“ Es müßten Konflikte angesprochen werden: Gibt es Profitstreben im Behindertenbereich? Wo fließen Gelder? Wer verdient am Bau von Heimen?

Auch an Vorschlägen für eine bessere Berichterstattung fehlte es nicht. Scarlett Duncan verwies auf die USA als Vorbild. Dort ist es zumindest bei den staatlichen Programmen üblich, oben rechts im Bild einen Gebärdendolmetscher für Gehörlose einzublenden. Sigrid Arnade schlug vor, die Kamera bei Berichten über Rollstuhlfahrer oder kleinwüchsige Menschen auf deren Perspektive einzustellen und nicht im wahrsten Sinne des Wortes von oben herab zu filmen. Sie fordert auch einen „sensiblen Umgang mit Sprache“. Dazu gehöre das Hinterfragen von Begriffen wie Integration: „Wenn Behinderte nicht ausgesondert würden, bräuchte man auch keine teuren Integrationsprogramme.“ Dorothee Winden

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