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Nicht von öffentlichem Interesse

■ Hans-Dietrich Genscher will von seiner Forderung, Bosnien schnell anzuerkennen, ein Jahr später nichts mehr wissen

„Die Verweigerung der Anerkennung jener Republiken, die ihre Unabhängigkeit wünschen, müßte zu weiterer Eskalation der Gewaltanwendung durch die Volksarmee führen, weil sie darin eine Bestätigung ihrer Eroberungspolitik sehen würde.“

Mit diesen Zeilen antwortete der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher am 13. Dezember 1991 auf ein Schreiben, das UNO-Generalsekretär Pérez de Cuéllar an die zwölf EG- Außenminister gerichtet hatte. Darin plädierte de Cuéllar nicht etwa – wie Genschers Antwortschreiben nahelegt – für eine grundsätzliche und dauerhafte „Verweigerung“ der Anerkennung exjugoslawischer Republiken. Statt dessen betonte er „das in der UNO-Karte niedergelegte Prinzip der Selbstbestimmung“ und warnte dann lediglich vor einer „verfrühten, selektiven und unkoordinierten Anerkennung“. Diese könne zu einer „Ausweitung des Konflikts führen“.

Der UNO-Generalsekretär erinnerte die EG-Außenminister sodann an ihre eigene, am 8. November 1991 in Rom verabschiedete Erklärung, laut der „die Möglichkeit einer Anerkennung der Unabhängigkeit jugoslawischer Teilrepubliken nur im Zusammenhang mit einer umfassenden Lösung ins Auge gefaßt werden“ könne.

Auf die Tatsache, daß Genscher in seinem Brief vom 13.12. weder die Positionen de Cuéllars zur Kenntnis nahm, noch auf die Erklärung von Rom einging, verwies der UNO-Generalsekretär in einem ausschließlich an den Bundesaußenminister gerichteten Schreiben vom 14. Dezember 91 mit ungewöhnlich deutlichen Worten.

Heute jedoch will Genscher mit der auch von ihm mitzuverantwortenden Entwicklung der letzten 16 Monate nichts mehr zu tun haben. Ein britischer Diplomat, der damals an den EG-internen Beratungen über Jugoslawien beteiligt war: „Nach der von ihm durchgepaukten Anerkennung schwieg Genscher, und dann trat er zurück“. Für viele langjährige Kenner Genschers steht fest, daß dessen „gravierende Fehleinschätzung“ des Jugoslawienkonflikts einer der Gründe für den überraschenden Rücktritt im Februar 1992 war.

Der Augsburger Verleger Dittl, der sich seit Oktober 92 um einen Beitrag oder ein Interview Genschers für ein Buch über die deutsche Jugoslawienpolitik bemühte, ließ der Ex-Außenminister immer wieder ins Leere laufen. Mit der Begründung, die Briefe de Cuéllars seien „nicht von öffentlichem Interesse“ verweigerte das Bonner Abgeordnetenbüro Genschers Kopien der Schreiben.

Die Existenz von Genschers Brief an den UNO-Generalsekretär vom 13.12.91 wird in Bonn schlicht bestritten. In Genf verteilten Ende 92 die Jugoslawienvermitler Cyrus Vance und David Owen Kopien aller Schreiben an Journalisten. Nach dem Urteil von Vance-Stellvertreter Herbert Okun hat Genscher die „verfrühte und völlig konzeptionslose Anerkennung Sloweniens und Kroatiens in der EG durchgepaukt und ist damit mitverantwortlich für die inzwischen erfolgte Ausdehnung des Krieges auf Bosnien.“

Ursprünglich hatten Deutschlands EG-Partner dieselben massiven Bedenken gegen den Bonner Anerkennungskurs wie der UN- Generalsekretär. Zu den Gründen für das letztendliche Einschwenken auf die deutsche Linie will sich in den Regierungsetagen der EG- Hauptstädte auch heute offiziell niemand offen äußern. Doch inoffiziell wird überall auf politische Tauschgeschäfte im Zusammenhang mit den Maastrichter Verträgen verwiesen. Danach hat Bonn die Unterstützung für seine Anerkennungspolitik mit Konzessionen erkauft. Die Regierung Major in London erhielt die Zustimmung von Kohl und Genscher für den britischen Ausstieg aus der Sozialklausel des Maastrichter Vertrages; die vier „armen“ Staaten Spanien, Portugal, Griechenland und Irland wurden mit Finanzusagen für den EG-internen Ausgleichsfonds gewonnen. Andreas Zumach, Genf

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