Sanssouci: Vorschlag
■ 10 Jahre College of Hearts: „Ergüsse“ in der UFA-Fabrik
Was haben Metzgersfrau Stark und Kommissar Haase gemeinsam auf einer Bühne zu suchen? Warum kuschelt Wespe Zizi mit dem Butler eines englischen Lords? Wie gerät Kurt Kowalski, Ruhrpottproll, an die schrille Prostituierte Jasmin? Und warum hat die Bienenkönigin mit dem Bordellkönig eine Rechnung zu begleichen? Die hier so kunterbunt zusammengewürfelte Gesellschaft hat vor allem eines gemeinsam: Sie stammen alle aus der Feder des College of Hearts und fristen ihr Rollenrentnerdasein auf einem verstaubten und spinnwebenverzierten Kreuzberger Dachboden.
Gemeinsam mit Requisiten und Bühnenbildfragmenten aus acht Produktionen hat sich so manch eine der Figuren dort bereits seit zehn Jahren ein Eigenleben bewahrt. Denn 1983 bereits gab das College of Hearts sein Debüt mit dem „Letzten Musical vom großen Glück – New York muß brennen.“ 1985 folgte das wunderschön deutschfeindliche, dreisprachige Campingmusical „King Kurt“, 1987 der Schinken „Casanova“. Den endgültigen Durchbruch verschaffte sich das Musiktheater 1988 mit dem Bienenmusical „Blutiger Honig“. Ihre Folgeproduktionen – das Metzgermusical „Harry Stark“, die Seifenoper „Der letzte Waschgang“, das Rotlichtmusical „Der Gestiefelte“ und die Koproduktion mit den Westlichen Stadthirschen „Easy Living“ – etablierten den unnachahmlich hemmungslosen und geschmacksirritierenden Stil der Gruppe, der von so mancher Bühne kopiert, aber nie erreicht werden sollte.
Über zehn Jahre hinweg füllte sich so langsam der Kreuzberger Dachboden. Und die Figuren dort sind nicht verblaßt, weil sie in den Köpfen des Ensembles lebendig blieben – und vor allem auch in denen des Publikums. Denn, so seicht das Genre Musical auch daherkommen mag, wer könnte Kurt Kowalski vergessen, der ihn einmal gesehen hat? Wer erinnert sich nicht an den arm- und flügellosen Mario Marienkäfer, den Strip von Kommissar Haase, die frisch geschlüpfte Eintagsfliege, den Döner-Kebap- süchtigen Heinz König, das Liebesduett von Iris und Rainer, die männermordende Bienenkönigin, und und und?
Weil dem so ist, hat das College of Hearts zu seinem zehnjährigen Bestehen den Kreuzberger Dachboden in die UFA-Fabrik geholt und feiert mit seinen Fans das Jubiläum mit einer Revue aus altbekannten Szenen und den unvergeßlichen Songs von Thomas Pigor, Wolfgang Böhmer und Susanne Betancor. Ursprünglich wollte das Ensemble eine neue Geschichte aus den einzelnen Fragmenten zusammenklitten. Aber dieses Unterfangen erschien wohl selbst den sonst so findigen und windigen – „Erzähl mir einen Witz, ich bau ihn schon irgendwie ein“ – Colleges zu aussichtslos. Also verwenden sie einen alten dramaturgischen Kunstgriff: ein Moderator wird vorgeschickt und nimmt dem Publikum den Wind aus den Segeln: „Ihr versteht nichts? Das geht auch gar nicht.“ Für College-of-Hearts-Ungeübte ist der Abend daher auch nicht bedingungslos zu empfehlen, die kleinen, erinnerungsträchtigen Anspielungen funktionieren nur bei Insidern. Für diese aber gewähren die „Ergüsse“ des College of Hearts einen nostalgisch-schönen Abend: Happy Birthday und auf die nächsten zehn Jahre! Anja Poschen
Bis 8. Mai, Mi.–So., 20.30 Uhr in der UFA-Fabrik.
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