■ Eine Protesttradition im politischen Abseits: Ohnmächtige Ostermärsche
Über sich die in Richtung Balkan startenden Kampfflugzeuge, neben sich die Feiertagsspaziergänger, die im schönen Wetter flanieren, ziehen die Ostermarschierer in die Bedeutungslosigkeit. Zwischen 40.000 und 70.000 sind es noch, verstreut in Einzelmärschen über die Republik, nicht weniger als im letzten Jahr, aber auch nicht mehr.
Die Hoffnungen der Organisatoren, daß die Entscheidung von Karlsruhe die Menschen auf die Straße treiben würde, hat sich nicht erfüllt. Verdammt lang her ist die Zeit, als sich in den fünfziger Jahren die ganze Opposition gegen die Wiederbewaffnung auf der Straße befand, tief in der Geschichte der alten Bundesrepublik vergraben auch die Zeit der Massendemonstrationen gegen die Nachrüstung. Wer hat das Lied des Protestes so zerstört? Man sieht es mit Besorgnis, man wundert sich, man würde auch gern die Tatsache an und für sich scharf geißeln, nur: wohin mit der Protestadresse?
Von Frust wäre zu reden und von Ohnmacht. In der nächsten Woche wird das Parlament – nachträglich – über die Entsendung der Awacs-Flugzeuge reden, über die das höchste Verfassungsgericht bereits, wenn auch vorläufig, befunden hat. Da werden ein paar markige Worte und ein paar Bedenklichkeiten den deutschen Mitfliegern hinterherfliegen, und jeder weiß doch: Die holt keiner zurück. Was die Politik an Handlungsvollmacht verloren oder freiwillig an die Justiz abgegeben hat, das drückt sich auch aus in der Unsicherheit, gegen wen man eigentlich protestieren soll: gegen die Politik, die doch gar nichts entscheiden will, oder gegen das Gericht, das doch gar keine politische Adresse sein kann? So what? Ein Vorteil ist die Aktionsblockade nicht, auch nicht für die innenpolitische Streitkultur. Außenpolitischen Schaden wollten sie von der Bundesrepublik abwenden, haben die Karlsruher Richter als Begründung angegeben. Das beruhigt keineswegs. Sorgen muß man sich vielmehr machen über die Republik, die ihre Außenpolitik im Verfassungsgericht oder im Verteidigungsministerium entscheiden läßt.
Aber die Ostermärsche verdanken ihren Bedeutungsverlust nicht nur der politischen Orientierungslosigkeit im Gesamthorizont der Bonner Politik. Sie kränkeln auch mit im Untergang einer politischen Protestkultur, die die dünner werdenden Reihen der Aufmärsche zum 1. Mai bis zu den älter werdenden letzten Getreuen bei den Gedenkfeiern an den Mahnstätten für die Opfer des NS-Regimes kennzeichnen. Nein, die werden nicht mehr beschimpft oder diskriminiert – sie werden totgelächelt. So sehr sind sie in freundliches Zulächeln eingebettet, daß das fast schon eine neue kulturelle Isolation ergibt. Da marschieren sie denn tapfer weiter, die Pastoren mit Baskenmütze, die älteren Frauen in den Wanderschuhen, die immer ein bißchen jugendbewegten Dauerjunggesellen und die unvermeidlichen Mütter mit Kindern. Sie wandern ins kulturelle Abseits, und wenn sie weit genug gelaufen sind, fehlen sie uns auch ein wenig. Weil die Ahnung hochsteigt, daß man besser doch keine politische Kultur schleift, es sei denn, man hätte eine neue. Antje Vollmer
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