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Betriebsfeier-Hokuspokus

■ Die magische Groteske „Tod im Zylinder“ in Hamburg

Ja, so eine Betriebsfeier hat es in sich. Da wird nicht nur der Chef veräppelt, da zerrt auch schon mal der Prokurist eine flotte Biene in den Fahrstuhl. Und das Beiprogramm erst – es vergeht einem tatsächlich Hören und Sehen: Da hat der Top-Magier Rochus Mondlicht (Mr.Cox) seinen großen Auftritt und zaubert mal eben, Hokuspokusfidibus, piff-paff, ein paar Leute von der Bühne. Und Firmenchef Sonne wird zum Schweben gebracht. Einfach toll, dieses Betriebsvarieté. Und höchst symbolträchtig, dieses quirlige Zusammentreffen von „Mondlicht“ und „Sonne“. Aber was hat das alles mit Theater zu tun?

Wenn Peter Zadek sich einen „Blauen Engel“ leistet und Michael Bogdanov das Hamburger Schauspielhaus zum Kintopp mit Musical-Einlagen umfunktioniert, so mag sich Stephan Barbarino, der neue Chef der Kammerspiele gesagt haben, dann kann ich mir auch mal einen Zauberer leisten. Und dann heckten Ideenträger Uwe Bremer, Meister Barbarino und Mr.Cox bei reichlich Schampus die dürftige Rahmenhandlung mit der Betriebsfeier als neckisch- dekoratives Element für die Zauberkunststücke des großen Magiers Cox aus.

Und so bleibt dem Zuschauer nichts erspart: weder das postpubertär-schlüpfrige Stammtischgequatsche noch die mystisch-verquaste Astrologen-Einlage mit Zitaten aus Homers Odyssee direkt aus dem abgeschnittenen Kopf des Ex-Models Marlene. Natürlich fehlt auch nicht der kleine Betriebsskandal: Prokurist Westphal (Karl Jürgen Rost als schmieriger, geiler Bock macht seine Sache allerdings glänzend) hat den Chef jahrelang übers Ohr gehauen und muß nun aufpassen, daß ihn die lockere Eva-Maria Mondlicht (Justina del Corte), die es ihm gerade im Fahrstuhl besorgt hat, nicht erpreßt. So ist das eben bei hochkarätigen Werbe-Fuzzis...

Vergessen wir also diesen lächerlichen Betriebsfeier-Klimbim und würdigen lieber die Kunststücke des genialen Mr.Cox, dieses zeitgenössischen Houdini. Der Meister läßt ja nicht nur mit eleganten Handbewegungen mal eben eine Assistentin in der Kiste verschwinden, nein, der schnauzbärtige Mann in Frack und Zylinder sorgt auch mit einem kleinen Eingriff – Professor Brinkmann würde vor Neid erblassen – dafür, daß die alte Matrone Marlene ihres Kopfes verlustig geht. Aber keine Angst, der ist am Schluß wieder dran, dann allerdings auf dem Rumpf ihres Dieners Jean (Johannes Silberschneider), der sie so devot verehrt.

Der begeisterte Applaus des illustren Publikums für diese von Christian Kohlmann inszenierte magische Groteske ist sicher ein Indiz dafür, wie wir heute unsere Krisen – nicht nur unsere allerliebste Theaterkrise – meistern können: mit Hokuspokus. Mein Vorschlag: Mr.Cox sollte als Minister für Übersinnliches nach Bonn berufen werden. Ein sanftes „Simsalabim“ dieses Hexenmeisters, und schon hätten sich Awacs-Streit, Solidarpakt-Querelen und Krause- Affären verflüchtigt. Peter Münder

Weitere Vorstellungen: bis 23. April täglich (außer 19./20.) um 20 Uhr in den Kammerspielen Hamburg

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