: Klingendes Feuilletongeschwätz
■ betr.: "Michel Foucault als Aids-Metapher", taz vom 7.4.93
betr.: „Michel Foucault als Aids-Metapher“, Kommentar von Elke Schmitter, taz vom 7.4.93
[...] Ganz sicher hat Frau Schmitter recht mit ihrer Einschätzung, daß die Krankheit Aids als Metapher hierzulande noch vor ihrem Durchbruch steht. Und vielleicht auch damit, daß der Spiegel bislang den Philosophen und Historiker Foucault seinen Lesern „kaum zugemutet“ hat. Da hatte die taz sicherlich mehr zu bieten, aber vor dem schwulen Foucault hat sie sich bisher genauso gedrückt (ein Blick in das taz-Archiv, Stichwort „Foucault“, genügt, um das zu beweisen) wie der große bundesrepublikanische Rest der sauberen Foucault-Experten.
Da verwundert nicht weiter der Spiegel-Coup, Foucault in dem Moment als Schwulen auszustellen, als ihm ein Monstergesicht und -körper gegeben werden kann mit Maske, Ketten und Peitsche. Die jahrelange Nichtwahrnehmung der Foucaultschen Homosexualität – die ganz sicher nicht das schlichte „private“ Sexualverhalten meint – bricht erst dann zusammen, wenn es gelingt, den anderen als sichtbar Fremden neu zu konstruieren. Das hat der Spiegel getan und ist damit all den anderen – taz einschließlich – lediglich zuvorgekommen.
Ganz sicher zu spät kommt Frau Schmitter mit ihrer Warnung davor, die Krankheit „mit Bedeutung aufzuladen“. Das ist schon längst passiert, war gleichsam mit der Krankheit entdeckt. Aids betrifft theoretisch alle, daran sterben – vergleichsweise – nur wenige Bestimmte; Aids ist tödlich und kommt ohne Liebe und/oder Sexualität nicht aus; Aids ist für die Homo-Feinde eine willkommene Geißel Gottes und für Schwule mitunter die richtige Strafe für das falsche Tun. Die „Bedeutungs“- Reihe läßt sich fortsetzen.
Nicht weiter verwundert die Ansicht der Kommentatorin, daß die Krankheit Aids „für die Kulturseiten der Magazine“ wenig hergibt – denn das trifft zu für die taz. Denn der Aids-Tod so vieler Künstler und Kulturschaffender kommt darin kaum vor. Es bleibt der Verdacht, daß die mit der Aids-Nachricht unter Umständen einhergehende Information zur Homosexualität der Person nicht ausgehalten werden will. Die lange Jahre gehegte Nähe zum Werk/ Künstler soll nicht umschlagen in eine unmittelbare Fremdheit.
Ohne Rücksicht auf diese Angst der Heterosexuellen ist es unbedingt notwendig, die Opfer der Krankheit zu zeigen, mit Gesicht und vollem Namen, möglichst prominent. Nur so ist die Gewißheit zu vermitteln, daß die Krankheit nicht jenseits des guten Geschmacks stattfindet, sondern auf der Leinwand, auf der Aschenbahn und auf der Regierungsbank anzutreffen ist, also unter uns. Und das alles, um den wirklichen Opfern eine mögliche Hilfe und Unterstützung zu gewähren. Auch, um auf die goldenen Worte der Kommentatorin zu verzichten, die lediglich vorgibt, im Sinne der Opfer zu argumentieren, dabei aber nichts weiter hervorbringt, als klingelndes Feuilletongeschwätz im Streit der Medien untereinander. Elmar Kraushaar, Berlin
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