: Flüchtlingsstadt Srebrenica vor dem Fall
■ Die Moslem-Enklave steht unmittelbar vor der Kapitulation / UNO verhandelt über Evakuierung / 60.000 Flüchtlinge sollen nach Tuzla gebracht werden / Sicherheitsrat tagt kommende Woche
Genf (taz) – Unbehindert von der internationalen Staatengemeinschaft, setzen die serbischen Truppen ihren Eroberungsfeldzug in Ostbosnien fort. Am Freitag waren sie bis zum Dorf Posmilici vorgerückt– 2,5 Kilomter entfernt vom Stadtkern Srebrenicas. Mit dem Fall der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt wurde stündlich gerechnet. Ein Sprecher des bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović bestätigte, daß „Kapitulationsverhandlungen“ begonnen hätten. UNO-Kreise in Zagreb gaben an, daß die Weltorganisation eingeschaltet worden sei, um eine Kapitulation zu arrangieren. Die Übergabeverhandlungen des UNO-Kommandeurs in Bosnien, General Philippe Morillon, mit der Führung der bosnischen Serben in Pale bei Sarajevo waren am Nachmittag noch nicht beendet. Der Vizekommandeur der UNO-Truppen im ehemaligen Jugoslawien, Cedric Thornberry, sagte, die rund 5.000 moslemischen Verteidiger seien angesichts der Übermacht der Serben chancenlos.
Über die Lage in Srebrenica lagen gestern unterschiedliche Informationen vor. Funkamateure berichteten, der Verlauf der Front habe sich seit Donnerstag nicht verändert. Sie sprachen von schwerer Artillerie, mit der die Serben die moslemische Enklave unter Beschuß genommen hätten. Am Donnerstag seien sieben Menschen getötet und 20 weitere verletzt worden. Das UNHCR hat nach eigenen Angaben keine „klaren Vorstellungen über die Lage“ in Srebrenica. „Die Berichte, die uns erreichen, sind widersprüchlich, aber alle zeigen, daß die Stadt in Gefahr und in tiefer Verzweiflung ist“, sagte UNHCR- Sprecherin Sylvana Foa in Genf. UN-General Morillon bemühte sich gestern pausenlos um einen Waffenstillstand, damit die Schwerverletzten per Hubschrauber ausgeflogen werden könnten.
Jugoslawien-Vermittler Owen verlangte erstmals die Bombardierung der Nachschubwege der bosnischen Serben. Da die bosnischen Kroaten und Moslems den Genfer Friedensplan unterzeichnet hätten, seien die Luftangriffe als „friedenerhaltende“ militärische Operationen zur erachten, um ein Abkommen durchzusetzen. Das sei in der UN-Charta erlaubt. Der US-Sonderbeauftragte für Jugoslawien, Reginald Bartholomew, befürwortete die Aufhebung des über Bosnien- Herzegowina verhängten Waffenembargos, wenn die Serben mit „ihren militärischen Aktionen fortfahren“. Die US-Regierung hat am Donnerstag einen vorläufigen Bericht über die Lage der Zivilisten in Bosnien-Herzegowina veröffentlicht, der die Anwendung von Gewalt zum Schutz bedrohter Menschen nahelegt. In dem vorgelegten Dokument empfehlen die Experten die Schaffung von Schutzzonen für Zivilisten, die von internationalen Truppen gesichert werden sollen. Die Bombardierung moslemischer Orte müsse notfalls militärisch gestoppt werden.
Völlig unzureichend ausgestattet, bereitete sich das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) inzwischen auf die Evakuierung zumindest eines Teils der mehrheitlich muslimischen BewohnerInnen Srebrenicas vor. Nach Auskunft der Genfer UNHCR-Zentrale stehen in Belgrad 50 Lastwagen bereit, mit denen bis zu 26.000 Menschen nach Tuzla gebracht werden sollen. In der Region Tuzla werden allerdings bereits rund 150.000 Flüchtlinge vom UNHCR versorgt. Und in den für diese Region angelegten Vorratslagern befinden sich nur noch 60 Tonnen Nahrungsmittel. Auf ihren dramatischen Appell an die internationale Staatengemeinschaft vom letzten Dienstag zur Aufstockung der Finanzleistungen und Nahrungsmittellieferungen für Bosnien erhielt Hochkommissarin Sadako Ogata bis Freitag kaum Reaktionen.
Nächste Etappen der serbischen Truppen auf dem Weg zur Schaffung eines durchgehenden serbischen Korridors sind die Städte Gorazde und Zepa. Nach Einschätzung militärischer Beobachter der UNO, die bereits die Einnahme Srebrenicas am 25. März für „spätestens in drei Wochen“ präzise vorausgesagt hatten, dürften diese beiden Städte innerhalb der nächsten zehn Tage in die Hände der serbischen Truppen fallen. Damit wären bis zum 26. April Fakten geschaffen, die das Ergebnis der bisherigen von UNO und EG verantworteten Verhandlungen, den Vance/Owen-Plan, weitgehend zur Makulatur machen dürften. Andreas Zumach Seiten 3 und 10
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