piwik no script img

Logikdefizite und ein Mangel an Pietät

■ HSV: Durch ein 2:1 in Bochum die Unabsteigbarkeitstheorie widerlegt

Nachgetreten

Logikdefizite und ein Mangel an Pietät

HSV: Durch ein 2:1 in Bochum die Unabsteigbarkeitstheorie widerlegt

In der Regel gehört es zu den widersinnigsten Gesängen versammelter Fans von Erstligavereinen, den Gegner nie wieder sehen zu wollen und ihm deshalb den Abgang in die Zweite Liga zu wünschen. Schließlich: Ritualisierte Fußballfeindschaften und die Freude am Schmähgesang in allen Ehren — aber was bleibt noch übrig, wenn man die 17 gegnerischen Vereine ins Unterhaus gesungen hat? Soviel zu Logikdefiziten auf den Tribünen.

In sehr, sehr seltenen Fällen jedoch hat die Demissions-Parole einen tieftraurigen Hintergrund. Am Freitag abend in Bochum war es gar ein fast tragischer. Kurz vor 22 Uhr skandierten die gewohnt zahlreich erschienenen HSV-Anhänger auf der Westtribüne des Ruhrstadions: „Bochum, Bochum — Zweite Liga, oh ist das schön, Euch nie mehr zu sehn.“

Auf der Osttribüne, jenem Stadionteil in dessen Reihen einst das unbekannte, inoffizielle und in seiner schlichten Wahrheit ergreifend schöne Vereinslied „Deutscher Meister wird nie der VfL“ entstanden ist, jaulten ein paar hundert bereits abgewanderter Bochumer wütend auf. Mit Recht: Noch verwerflicher als unberührt von mathematischen Wahrheiten zu sein, ist es Mangel an Pietät zu zeigen.

Unbenommen bleibt jedem Fan, sich über einen Sieg zu freuen, dabei angelegentlich auch Hohn und Spott über den Besiegten ergießen. Aber: Nachtreten nach einem in den letzten Zügen liegenden Etwas, das ist gemein! Gerade ein Grün-

1dungsmitglied der Fußballbundesliga, zudem eines mit hanseatisch gediegener Tradition und nationalen wie internationalen Triumph- und Trophäenmeldungen im Vereinswappen könnte etwas zurückhaltender sein, wenn es gerade einem armen Dümpelverein — dessen einziger Erfolg in 22 Jahren ungebrochener Bundesligazugehörigkeit eben diese Ungebrochenheit gewesen ist — endgültig gebrochen hat. Man sollte doch einen so rührend unspektakulären Helden des Versagens wie den VfL in Würde dahinscheiden lassen!

„Wir wußten, daß für den VfL nur der Sieg zählt“, offenbarte nach dem 2:1 Sieg seiner – also der falschen – Mannschaft HSV Trainer Benno Möhlmann sowohl sachlich als auch rechnerisch bewandert. Und wirklich spielten die seit Wochen in Heimspielen unbezwungenen Bochumer eine gute halbe Stunde hochüberlegen. „Alles gegeben“ zu haben, bescheinigte VfL- Trainer Jürgen Gelsdorf seiner Mannschaft für diesen Zeitraum. Nur ein Tor fiel nicht. Und das hätte jedem VfL-Anhänger früh zu denken und jeden HSV-Freund schnell beruhigen müssen. Denn, richtig, sowas rächt sich. Der allererste einigermaßen seriöse HSV- Angriff traf auf keine VfL-Abwehr und Jan Furtok hatte kurz vor der Pause wenig Mühe mit dem 0:1. In gleicher Weise kam kurz nach der Pause Yordan Letchkovs 0:2 zustande. Dem Bochumer Anschlußtreffer vom besten Zweitligastürmer einer Erstligamannschaft, Holger Aden, folgte nur noch ein erschöpftes Gerenne seiner Mannschaft. Die hatte sich zuvor vergeblich derart abgekämpft, daß die Hamburger es sich weiterhin leisten konnten aufreizend unlustig zu spielen, als gäbe es außer der Siegprämie auch noch eine für das unbefleckte Trikot.

Während mit dem vorerst letzten Gastspiel des HSV nun die Schlußlichtposition der mighty mouse Bochum mit fünf Punkten Abstand zu Rang 15 zementiert wäre, haben die Hamburger eine Art Anschluß an die Teams gefunden, die sich um die UEFA-Cup- Plätze bewerben. Wenngleich die Vorstellung, dieses Ziel zu erreichen, wahrscheinlich auch den HSVern selbst abenteuerlich anmutete. Katrin Weber-Klüver

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen