Nie wieder "to the front"-betr.: "Die Linken und die Bundeswehr" von Harald Müller, taz vom 14.4.93

betr.: „Die Linken und die Bundeswehr“ von Harald Müller,

taz vom 14.4.93

Harald Müller, fahr Du schon mal vor nach Serbien. Ich kümmere mich solange um Deinen Job als Friedensforscher (aus nationalem Altruismus, versteht sich). Markus Mischhowski,

wehrpflichtig, Berlin

[...] Warum eigentlich müssen wir immer wieder dieses reaktionäre Geseire ertragen, nur weil die jeweiligen AutorInnen, wie jetzt Harald Müller, ihre Artikel für besonders kontrovers in der Diskussion der Linken halten? Wenn ein Friedensforscher die Warnung vor der Militarisierung der Außenpolitik für „unzeitgemäß und überzogen“ hält, während die neuen „verteidigungspolitischen Richtlinien“ verkünden, die Bundeswehr sei zuständig für die „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“, sollte er seinen Job vielleicht doch direkt auf der Hardthöhe antreten. [...]

Das linke „Verweigerungssyndrom“, das Müller diagnostiziert, ist allem Anschein nach dagegen leider längst nicht so massiv, wie es angesichts deutscher Großmachtgebärden angebrächt wäre. Und das ist auch kein Wunder, scheint doch die „Sensibilität gegenüber der organisierten Gewalt“ zu geballtem Schwachsinn zu mutieren. Wer weiß denn schon, wie viele „Linke“ sich der messerscharfen Analyse Müllers angeschlossen haben und die Bundeswehr für eine „erstaunlich zivile Institution“ halten?

Bleibt wohl nur abzuwarten, ob ich als totaler Kriegsdienstverweigerer also demnächst von einem linken Richter wegen Massenmordes verurteilt werde... Jens Kastner, Senden

Harald Müllers Forderung einer „Entnationalisierung von Militärpolitik“ scheint mir besonders wichtig zu sein. Ich, alter Kriegsteilnehmer, möchte noch einen Schritt weitergehen: Militär sollte durch Polizei ersetzt werden. Militär ist von alters her für Gruppenegoismen, ethnischen, nationalistischen, eingesetzt worden, und das mit Strategien, die so schnell nicht auszurotten sind. Militärstrategie heißt immer noch: Angriff ist die beste Verteidigung, nicht kleckern, sondern klotzen. [...]

Im Gegensatz dazu müßte für die aufzustellende Weltpolizei, wie für jede Polizei, das Gebot der Verhältnismäßigkeit der (Macht-)Mittel gelten, und jeder, der sich, wie ein General Schwarzkopf, dagegen verginge, müßte sich vor einem demokratischen Weltgericht verantworten.

Ein Abbau der aufgeblasenen Nationalismen hätte auch den Erfolg, daß es gleichgültig wäre, mit welchen Quoten die Weltpolizisten aus welchen Ländern rekrutiert werden. [...] Prof. Dr. Arnold Bauer,

Garmisch-Partenkirchen

Das Ende des Ost-West-Syndroms hat viel an Verwirrung hervorgerufen in den Köpfen. Die Verhältnisse sind nicht etwa friedlicher geworden, aber undurchsichtiger und komplizierter. In der Friedensbewegung hat man darauf – wenn überhaupt – kopflos reagiert. Und dasselbe gilt offenbar auch für die Friedenswissenschaften. [...]

Noch immer richtig ist das Festhalten daran, daß die Menschen, die in einem Lande leben, mit der Politik, die dessen Regierung betreibt, nicht umstandslos identifiziert werden können. Das gilt selbstverständlich auch in Konflikten oder Kriegen, die auch ethnische Ursachen haben. „Internationale Solidarität“ hat schon allein deshalb nichts zu tun mit einer aufzugebenden Verweigerungshaltung gegenüber „kollektiver Sicherheit“, was ja heißt: kollektiver Morddrohung. Richtig an Müllers Überlegungen ist nur soviel: daß wir uns neu Gedanken darüber machen müssen, wie internationale Solidarität, die diesen Namen auch verdient, heute konkret aussehen kann.

Auch an einem anderen Zusammenhang hat sich nichts geändert. Nämlich dem von Militär, Rüstungsproduktion und Rüstungsexporten. Ohne konsequente Abrüstung ist ein Ende von Rüstungsexporten nicht zu haben. Das Militär ist der Grund (oder jedenfalls ein Grund) des Problems, für dessen Lösung es sich hält. Und das ist auch ein Grund dafür, warum Müllers weitere Behauptung falsch ist: „Die Beseitigung von Kriegsursachen, die vorbeugende Konfliktlösung, die gewaltfreie Konflikthandlung“, schreibt Müller, „und die gewaltsame Beendigung von Kriegshandlungen seien keine Alternativen, sondern „sich gegenseitig ergänzende Instrumente der gesamten Palette kollektiver Sicherheitspolitik“. Die entsprechende Formel der Nato lautete immer, wenn ich mich recht entsinne, „Entspannung + Abschreckung = Frieden“. Man muß schon einen sehr verarmten Friedensbegriff haben oder Hardcoredialektiker sein, um daran zu glauben. Alle Erfahrung spricht dagegen.

[...] Es hat mit „wilhelminischer Arroganz“ gar nichts zu tun, wenn man eine konsequente Friedenspolitik fordert, eine Änderung des Grundgesetzes strikt ablehnt, die es zulassen würde, daß deutsche Soldaten an Kampfeinsätzen, wo auch immer in der Welt, teilnehmen. In vielen Teilen der Welt verbietet sich der Einsatz deutscher Soldaten in der Tat aufgrund der deutschen Vergangenheit. Genauso wichtig aber ist es, darauf zu bestehen, daß die „kollektive Gewaltdrohung“ aus Gründen falsch und verwerflich ist, die mit der deutschen Vergangenheit erst in zweiter Linie zu tun haben. Es sind humanistische oder pazifistische Prinzipien, die die Drohung mit dem organisierten Massenmord verbieten, und die Erkenntnis, daß Kriegsvorbereitung und -drohung Gewalt nicht beenden können. Die Alternative: deutsche Sensibilität“ versus „WeltbürgerInnenpflicht“ ist in Wahrheit keine. Wer germans oder wen auch immer nie wieder „to the front“ lassen will, tut seine/ihre „WeltbürgerInnenpflicht“! [...] Johann S. Ach, Münster