: Schauprozeßchen
■ Christoph Schlingensief bespielt die Berliner Volksbühne
Das knallt, das zuckt, das spritzt: Was immer es ist, das Christoph Schlingensief uns sagen möcht', er sagt's mit Getös'. Ich bin wichtig, ist das Substrat der Botschaft. Schweineköpfe werden aufgespießt, Platzpatronen krachen, Cicciolina streut von der Empore Goldregen auf uns herab.
Vorgeführt werden alle, die den Künstler je verkannten, die ihm weh getan haben: Eine zickige alte Dame ist die taz, („Ich zerreiß' jede taz-Seite einzeln“), eine betroffene Dame in Birkenschuhen heißt Mariam (?) Brenner und führt durch dieses Schauprozeßchen in RTL- Talkshow-Format. Allen voran das Ehepaar Ulrich und Erika Samsa, einmal auch direkt als Gregor angesprochen, die sich erfrecht hatten, Schlingels Filmchen nicht zu mögen (fürs Forum abgelehnt hatten ihn freilich andere, die Schlingensief tunlichst nicht vorführt, weil er's sich denn doch nicht so völlig verderben will mit denen). Diese werden nun abgestraft. Erika Gregor als rasende Megäre, die im BdM-Ton verkündet, sie werde nun flächendeckend die Stadt mit jüdischen Filmreihen überziehen. Da kriegt doch mal wieder der Jud' alles vorne und hinten reingeblasen, was eigentlich dem deutschen Christoph Burschen zusteht, unverschämt, gemein! Weg mit den alten Knackern aus den Gremien des jungen deutschen Films, laßt junge Meßdiener ran!
Da strengt sich einer unheimlich an, einen Theaterskandal zu kochen, und es wirkt doch nur wie eine Gymnasiastenparty mit Knalleffekt: „Ich wette, daß ich in der Lage bin, in 10 Minuten einen Judenstern auf ein türkisches Lebensmittelgeschäft zu malen“, brüllt Alfred Edel von der Videoleinwand, um später mit einem abgeschnittenen Türkenkopf in der Plastiktüte wiederaufzutauchen. Riesige Bühnenaufbauten Marke Friedrichstadtpalast-Revue werden aufgefahren, ein riesiger Jesus Christoph mit Dornenkron' kommt aus der machina herabgerollt. Auch die Volksbühne selbst kriegt ihr Fett, mutig, mutig. Usw. usw. „Unsere Angst stinkt nicht, unsere Angst ist Metaphysik“, ruft Edel ins Talk-Mikrophon. Engelchen schweben vorbei, die Deppen aus „Terror 2000“ sind auch wieder dabei, ei, ei ei. Unsere Angst ist keine Metaphysik. Schwitzend und zitternd hat sich die taz-Filmredaktion ins Ausland abgesetzt: Hoffentlich muß ich nie wieder ein Produkt aus dem Hause Schlingensief rezensieren. Mariam Niroumand
„100 Jahre CDU. Die letzte Stunde im Führerbunker“. Regie: Christoph Schlingensief. Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin-Mitte. Nächste Aufführungen am 29. und 30.4.
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