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Ein offenes Bekenntnis zur Gegenaktion

Während die EG ein schärferes Vorgehen gegen den serbischen Aggressor in Bosnien seit Samstag „nicht mehr völlig ausschließen“ will, nimmt die Zahl derer, die auf ein militärisches Engagement der Nato auf dem Balkan drängen, täglich zu.

Seit über einem Jahr fordern Kroaten und Muslimanen ein militärisches Eingreifen der westlichen Staatenwelt, um den serbischen Aggressoren militärisch eine Niederlage beizufügen. Mittlerweile suchen sogar die kleinen Staaten des übrigen Balkans den militärischen Beistand des Westens; Ungarn, Bulgaren, Mazedonier und Albaner, sie alle leben mit der Angst, der Krieg in Bosnien könnte sich ausweiten. Nur die Rumänen scheinen sich noch keine allzu großen Sorgen zu machen, auch wenn Bukarest wie alle anderen Nachbarn Serbiens die Mitgliedschaft in der Nato fordert.

Die Ausweitung des Krieges – eine Horrorvision, die Wirklichkeit werden könnte. Denn die serbischen Politiker demonstrieren mit ihrer endgültigen Ablehnung des Vance-Owen-Friedensplans, daß sie auf Krieg setzen – und nur auf Krieg. Ehemalige Politgrößen der Rechten wie Margaret Thatcher oder Ronald Reagan, jüdische Überlebende des Holocaust wie der Literaturnobelpreisträger Elie Wiesel oder der Kommandierende des Aufstandes im Warschauer Ghetto, Marek Edelman, aber auch französische Intellektuelle wie Alain Finkielkraut und André Glucksmann appellieren ganz offen: Krieg dem Kriege.

Auch die Zahl der Journalisten, UNO-Blauhelme, RotkreuzhelferInnen und westlichen Politiker auf ihren fact-finding missions, die auf „Gegengewalt“ setzen, wird täglich größer. Jeder Abgesandte, den US-Präsident Clinton auf den Balkan schickte, kam in den letzten Wochen zum Schrecken des mächtigsten Mannes der Welt mit der gleichen Aufforderung zurück: Schick uns Waffen. Die Planspiele reichen bereits von der Aufhebung des Waffenembargos gegen Kroaten und Muslimanen – um ein „Gleichgewicht“ der militärischen Kräfteverhältnisse herzustellen – bis hin zu „gezielten Bombardements“ serbischer Stellungen und Nachschubwege. Glaubt man Nato-Generalsekretär Manfred Wörner, so liegen bei ihm auf dem Schreibtisch diesbezüglich schon „fertige Pläne“ bereit – wann sie umgesetzt werden könnten, das könne er „aus verständlichen Gründen“ nicht näher erläutern.

Aus Nato-Kreisen sickerte bereits durch, daß nur eine militärische Gegenaktion die serbischen Aggressoren zum Einlenken bewegen könnte. Keine der Wirtschaftssanktionen, einschließlich des Bündels neuer Maßnahmen, das heute in Kraft treten wird, hat einen Einfluß auf den serbischen Eroberungsfeldzug. Zum einen wirken Wirtschaftssanktionen erst nach einer gewissen Zeit. Im Fall des neuesten Sanktionspakets der UNO wird es nach Analysen von Wirtschaftsexperten sechs Monate dauern, bis sie greifen, bis sich für die serbische Wirtschaft das Einfrieren aller Auslandsguthaben und die Unterbrechung aller Handelstransitwege bemerkbar machen werden. In der Zwischenzeit ist die hochgerüstete serbische Armee weiterhin in der Lage, beträchtliche Landgewinne in Bosnien zu erzielen.

Das über die ehemalige zentraljugoslawische Republik verhängte Flugverbot, so analysierten US- amerikanische Militärexperten, verlangsamte seit dem Inkrafttreten vor einem Monat lediglich den Eroberungsfeldzug und erschwerte den Nachschub für die serbische Armee. Doch als „friedenstiftende Maßnahme“ erwies sie sich als unwirksam. Die Nachbarstaaten Serbiens sind auf den Handel mit Belgrad angewiesen, sie brauchen die Absatzmärkte, solange für sie vor allem für landwirtschaftliche Produkte weiterhin hohe Einfuhrzölle und andere Handelsschranken nach Westeuropa in Kraft sind.

Warten auf ein eindeutiges Zeichen der Nato

Aus diesem Grunde werden die UNO- und EG-Sanktionsmaßnahmen nicht eingehalten, wie die Wirtschaftsexperten der UNO zugeben, allerdings nur hinter vorgehaltener Hand. Belgrad zahlt nämlich auch weiterhin in Devisen, für Öl, Erdgas und Waffenersatzteile zu einem weit höheren Weltmarktkurs als westeuropäische Staaten. Ein Geschäft, das sich die südosteuropäischen Staaten nicht nehmen lassen wollen und können. Sie sind nach wie vor erpreßbar und vor einem serbischen Angriff nicht sicher.

Dies würde sich erst dann ändern, wenn die Nachbarn Serbiens durch die Nato ein eindeutiges Zeichen bekommen würden, daß ihre Staatsgrenzen auch tatsächlich international verbrieft sind. In den Hauptstädten der Nachbarländer erinnert man sich nur zu gut an die Sprüche des serbischen Präsidenten Miloševićs, seines Oberbefehlshabers Panić und an den Satz des bosnischen Serbenführers Karadžić, die für sich sprechen: „Das serbische Volk ist das größte Volk auf dem Balkan, und niemand hat das Recht, ihm seinen Lebensraum zu nehmen.“

Der „Lebensraum“ der Serben, wie groß ist der? Es gibt knapp zehn Millionen Serben, Rumänen und Ungarn sind zahlenmäßig größere Völker als die Serben. Bulgarien und Griechenland zählen jeweils über neun Millionen Einwohner, dabei nicht zu vergessen sind die acht Millionen auf dem Balkan verstreut lebenden Albaner. All diese Völker wollen von der „Vorherrschaft“ der Serben nichts wissen, haben Angst, daß diese ihren „Lebensraum“ mit militärischen Mitteln erkämpfen wollen. Um diesem Wahn Einhalt zu gebieten, so glaubt man in den Hauptstädten des Balkans, muß die militärische Übermacht der Nato gegen die serbische Aggression ins Spiel gebracht werden. Ein „Verteidigungsauftrag“ (Wörner), dem das Nordatlantische Verteidigungsbündnis nicht gewachsen zu sein scheint; die Nato fühlt sich schlicht überfordert, in den Krieg um Bosnien einzugreifen. Karl Gersuny

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