: Schon was Stalinistisches
Präsident Jeffrey Lee Pierce über sich, den Gun Club und den Blues. Ein Interview ■ von Harald Fricke und Thomas Groß
Die Musik ist langsamer geworden, der Blick glasiger, das Lachen (ch-ch-ch!) asthmatischer, aber Jeffrey Lee Pierce vom Gun Club macht weiter. „Lucky Jim“ heißt sein neuestes Werk (siehe auch Kasten).
Ist „Lucky Jim“ die Verkörperung des ewigen Blues Man?
Das ist Jedermann...
Hört sich für mich nach einer Bob-Dylan-Figur an wie Frankie Lane, Judas Priest, John Wesley Harding.
Er ist immer glücklich. Ich hätte ihn „Lucky Nick“ nennen sollen – und „Lucky Nig“ schreiben.
Früher gab es auf deinen Platten dieses Ankämpfen des Gesangs gegen den Gruppensound, gegen die Ordnung. Auf „Lucky Jim“ wirkt alles viel kontrollierter, immer weiter entfernt von jugendlichem Zorn.
Verdammt, du hast ja keine fuckin' Ahnung, was ich da mache. Ich habe keine Kontrolle, absolut keine, ich kann nichts kontrollieren. Ich renn einfach nur ins Studio und laß die Sachen raus. Null Selbstkontrolle. Was ich im Studio veranstalte, grenzt schon an Obsession.
Und du hast dich beim Anhören deiner neuen Platte nicht über die Komplexität gewundert und darüber, daß die Stimme sich so perfekt in die Musik einpaßt?
Die Aufnahmesessions waren eben sehr intensiv. Ich hab sehr leidenschaftliche Gesangsparts abgegeben, aber so hab ich mich nun mal gefühlt, ich hab mich echt so gefühlt, wie ich gesungen habe. Ich weiß auch nicht, wie ich das mache. Soll ich's vielleicht wie Lou Reed machen und meine besten Sachen verstecken? Ch-ch-ch!!
Warum ist „Lucky Jim“ ein Gun-Club-Album und nicht einfach von Jeffrey Lee Pierce?
Warum? Weil ich nichts mit gemieteten Händen einspiele, sondern bloß mit Leuten, die mich kennen. Ich spiel nun mal mit meiner Band. Bloß mein Schlagzeuger ist gerade nicht da.
Ist das eine Art Beziehungskisten-Bandfamilien-Album?
Nein, ich hab nur absolut keine Lust mehr, irgendwelchen Leuten beizubringen, wie meine Musik zu spielen ist. Und die Leute, mit denen ich zusammen bin, können die Songs eben spielen. Ich kann mir lange Erklärungen sparen, muß bloß sagen – hier, so geht's und schon haben sie's – boom boom boom!
Ist sowas dann noch ein Gewehr-Club?
War's doch nie! Der Gun Club ist eine Fiktion.
Dann hättest du die Band doch gleich The Jeffrey Lee Pierce Experience nennen können.
Ich mag meinen Namen nicht so besonders. Außerdem bin ich nicht Jimi Hendrix. Ich hab's immer so gesehen: Der Gun Club ist ein Club. Und was passiert in solchen Clubs?
Keine Ahnung... Leute ballern zusammen rum?
Leute kommen und gehen. Hängen für längere Zeit zusammen rum. Arbeiten zusammen an Sachen, machen was. Und wenn sie bloß ihre Karre reparieren. Vielleicht legen sie die Hinterachse höher, so wie Eazy E das macht.
... oder sie nehmen Drogen...
Na, ich sag halt: Was man in einem Club so macht. Ich bin nur der Präsident davon, das ist alles. Ch- ch-ch!!! Nick, mein Schlagzeuger, hat mich immer einen Stalinisten genannt.
Und? Hat er recht?
Yeaaaahhh!!! ha-ha-ha-ha- ch-ch!!! Er sagt halt, es sei keine echte Kameradschaft in der Band, keine sich gegenseitig befruchtende Kreativität. Ich komm rein mit einem Lied und... here we go! Ich mach auch die Arrangements, die Produktion, alles. Ich bestimm sogar die Plattenfirma. Das hat schon was Stalinistisches. Heute bin ich aber viel älter, viel schwächer, viel kranker. Viel offener für Einflüsse von außen, ich lehn mich zurück. Ich würde am liebsten nur noch Bestehendes verbessern, schauen, ob irgendwo was fehlt und dann korrigieren.
Welches Stück von dir selbst hast du am liebsten?
Das beste Stück, das ich je geschrieben habe, ist „Lucky Jim“. Das ist eine Meisterleistung, ich werde wohl nie wieder sowas zustande bringen. Es ist so melancholisch, durchströmt von Gefühlen; Tempo und Feeling erinnern an Tränen, aber nicht im Sinne eines Verlusts.
Das Major-7-Akkord-Gefühl?
Nein, es ist das Moll-Akkord- Gefühl. Oder es ist ein Moll-Gefühl, gemischt mit major7. Soll ich dir mal die Griffe sagen? Die Akkorde sind b-moll, f-major7, b-major7, e-moll7... dann G, D, A – solide Dur-Akkorde. Ich bin so stolz auf „Lucky Jim“. Wenn ich den Song höre, hab ich gar nicht das Gefühl, daß ich selber das bin, der singt. Ich höre nur ein melancholisches Lied über Saigon. Ich denke immer an diese Stadt und an all die Schiffe, die den Hafen reinkommen. Ich habe die Platte Saigon und London gewidmet.
Wann bist du in Saigon gewesen?
Oh, öfter, dreimal. Das letzte Mal war ich dort im Dezember 91. Damals passierten einige Dinge um mich herum. Zuerst einmal haben sich Romi Mori, mit der ich seit einigen Jahren zusammen war, und ich getrennt. Endgültig. Das war in Bangkok, noch im Oktober. Sie ging zurück nach Tokio und später nach Paris. Ich dagegen machte diesen wild ass trip. Ich heuerte einen Fahrer an, der mich nach Norden fuhr, bis Dongha, dort, wo noch all die französischen Panzer herumstehen und man alte Uniformen und Orden findet. Ich sammle sowas.
Panzer?!?
Nun, natürlich nicht Panzer, die kann man ja nicht sammeln. Aber hier diese Plakette, die stammt von der National Liberation Front of South Vietnam.
Gibt es da einen Zusammenhang zu deiner Vorliebe für Gun Clubs?
Nein, ich mag solche Dinge ganz einfach. Einer der großen Einflüsse bei der Gründung von Gun Club ist ja auch der Film „Apocalypse Now“ gewesen. Seit ich diesen Film zum ersten Mal gesehen habe, trage ich Erinnerungen daran mit mir herum. Schon im ersten Presse-Info des Gun Club haben wir damals die Verbindung zu T. S. Eliot gezogen, der im Film von Colonel Kurtz rezitiert wird. Joseph Conrad ist für mich der größte Schriftsteller aller Zeiten. Ich habe mindestens fünf oder sechs Bücher von ihm gelesen, jedenfalls die guten. Als ich dann wieder zurück nach London kam, hatte ich mir eine merkwürdige Krankheit zugezogen, die sich als Gastroentritis herausstellte. Ich hörte die ganze Zeit Geräusche, Fliegen an der Wand, dabei war es einfach nur der Heizlüfter. Es war wie eine Psychose.
Aber, um es kurz zu machen, eine langjährige Beziehung war in die Brüche gegangen, und ich befand mich für eine Weile auf der Flucht und kam am Ende in London an, todkrank und total pleite.
Du fühlst dich also in solchen Städten wie Bangkok, Saigon oder London wohl?
Selbst in Berlin. Glaub's mir, ich war gestern in Hannover, und es war die Hölle. Kein Platz, wo man nachts noch etwas unternehmen kann. Da gibt es nichts weiter als die Schwulen-Szene am Bahnhof, und einige dieser verkrusteten fuckin' New-Model-Army-Fans – Biertrinker, die auf den U- Bahntreppen herumhängen. Als ich nach Berlin kam, dachte ich nur: „Scheiße, ich bin wieder zurück in der wirklichen Welt.“ In Berlin kannst du genauso unsichtbar sein wie in Saigon.
Fühlst du dich dabei nicht auch ein wenig wie ein Europäer? Du hast hier doch mehr Erfolg als in den Staaten.
Ja, ich bin hier erfolgreicher, aber weißt du auch, woran das liegt? Für die amerikanischen Kids klingen wir nicht genug nach Heavy Metal. Jane's Addiction oder selbst Nirvana, die nur das Image besitzen, sind dort machbar, weil es diese Heavy-Metal-Schädigung gibt. Ich hasse Heavy Metal, ich werde niemals Heavy Metal spielen, das war schon 1974 eine Scheißmusik. Die einzig gute Heavy-Gruppe, die ich je gesehen habe, war Grand Funk Railroad mit ihrem Detroit-Soul-Touch.
Und mit den neuen Bands hat sich nichts an diesem Status verändert?
Alles, was aus Seattle kommt, hat zuerst hier in Europa seine Erfolge gehabt. Ansonsten ist das ganze Zeug College-Musik, für die ich nie besonders viel übrig hatte. Zum College gehen nur Spießer. Wir waren immer zu anarchistisch für diese Hippiesachen. Einmal kam Michael Stipe von R.E.M. zu einem unserer Konzerte – barfuß, lange Haare, Schlaghosen. Zu der Zeit hing ich viel mit Will Shatter von Flipper, einer Band aus San Francisco rum. Sie haben „Sex Bomb“ gemacht, den besten Song, der je an der Westküste geschrieben wurde. Er war ein guter Freund von mir. Natürlich ist er jetzt tot. Das wird uns allen passieren.
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