: Zwischen nationaler Identität und Solidarität
In Ex-Jugoslawien spalten Nationalismus und Patriotismus seit Kriegsbeginn die Frauenbewegung / Westliche Hilfsbereitschaft nach dem Motto: „Wir helfen allen gleich“ läuft Gefahr, nationalistische Interessen zu unterstützen ■ Von Claudia Fregiehn
Noch empört sich alle Welt über die systematischen Vergewaltigungen im ex-jugoslawischen Bürgerkrieg. Doch gleichzeitig wurde längst die Basis für eine dauerhafte Entrechtung von Frauen geschaffen, und zwar vor allem in Kroatien mit Hilfe einer extrem biologistischen Familienpolitik. Die unter Kriegsbedingungen durchgesetzte innere Formierung der kroatischen Gesellschaft richtet sich mittlerweile zusehends gegen emanzipatorische Gruppen und die Frauenbewegung. Dabei zeigt sich, daß seitens staatlicher Autoritäten und der Medien vor Ort genau unterschieden wird: Einerseits gibt es die „guten Feministinnen“, denen die Verteidigung des Landes wichtiger ist, als die der Frauenrechte, andererseits die „schlechten“, die den nationalen Konsens der neuen Republik strikt ablehnen. Dem ging die tatsächliche Spaltung der Frauenbewegung zu Beginn des Krieges voraus, die keineswegs nur in Kroatien stattgefunden hat.
Die rigide nationale Mobilisierung in allen ex-jugoslawischen Republiken, bei der völkisch bestimmte Feindbilder eine herausragende Rolle spielen, hat schon zu Beginn der Kämpfe den Nationalismus ins Zentrum der feministischen Diskussion gedrängt. Die kaum begonnene Debatte über zukünftige Orientierungen der mittlerweile 15 Jahre alten (ex-) jugoslawischen Frauenbewegung wurde auf diese Weise abrupt abgebrochen.
Die Anfänge der jugoslawischen Frauenbewegung in den Jahren 1978/79 waren geprägt von der Auseinandersetzung um die Rolle der Frau in der sozialistischen Gesellschaft. Mitte der 80er Jahre gründeten sich auch in Jugoslawien Frauenprojekte, in erster Linie Notrufgruppen gegen die Gewalt gegen Frauen. Kurz vor Kriegsbeginn organisierten Feministinnen als Reaktion auf den geringen Frauenanteil in der kroatischen Regierung ein „Frauenparlament“, an dem 1990 etwa 600 Frauen aus allen Regionen des Landes teilnahmen. Die außerparlamentarische Konfrontationspolitik der Frauen war erfolgreich – die von den Männern bereits in Angriff genommene Änderung des Abtreibungsgesetzes wurde gekippt.
Die heute in Kroatien öffentlich als „Hexen“ und Staatsfeindinnen denunzierten, publizistisch tätigen Feministinnen konnten damals den Diskurs in den Medien zugunsten von Fraueninteressen beeinflussen.
Mit dem Beginn des Krieges war Gemeinschaftsgeist gefragt. Die zivile Auseinandersetzung wurde von vielen Oppositionellen bereitwillig suspendiert. In Kroatien, der „überfallenen“ Nation, sahen auch kritische Gruppen anfangs die Entsolidarisierung mit dem Staat nicht als dringlich an. Offensichtlich war für viele Kroatinnen die Leidensgemeinschaft mit ihren Männern und ihrer Nation so verbindend, daß sie dafür sogar die bedrohliche Reproduktionspolitik, in der sie selbst nicht mehr als soziales Subjekt, sondern als natürlicher Rohstoff zur Erhaltung der Nation gesehen werden, in Kauf nahmen.
Eine konsequente Absage erteilten dem Nationalismus gleich zu Kriegsbeginn nur die Belgrader Feministinnen vom „SOS-Notruf für Frauen und Kinder“; ihre Konsequenz: Sie schlossen serbische Nationalistinnen aus ihren Reihen aus. „Nationalistisches Denken enthält nur männliche Paradigmen und Phantasien. Für mich ist es ein unversöhnlicher Gegensatz, Feministin und Nationalpatriotin zu sein“, argumentiert Lepa Mladjenovic, Mitarbeiterin des „SOS- Notrufs“ Belgrad. Schon 1991 analysierte sie die Eskalation nationalistischer und militärischer Aggression nicht nur als Ursache für die Vergewaltigung von Frauen gegnerischer Nationen im Krieg, sondern auch als Grund für die Zuspitzung der ansonsten gesellschaftlich „üblichen“ Gewalt gegen Frauen. Die Erfahrungen des Notrufes belegen, wie die nationale Mobilisierung Männer auch in Alltagssituationen, weit entfernt vom Kriegsgebiet, brutalisiert. Vergewaltigt werden Frauen in Flüchtlingsunterkünften und Gefangenenlagern; Veteranen, die aus dem Krieg kommen, vergewaltigen ihre (Ehe-) Frauen.
Statt in der Kriegssituation, der äußersten Zuspitzung patriarchaler Politik, das eigene feministische Engagement zu intensivieren, haben die meisten Frauengruppen im ehemaligen Jugoslawien ihr Engagement aufgrund heftiger Auseinandersetzungen eingestellt. Manche legten ihre Arbeit bis auf weiteres auf Eis. Einige Mitglieder einer Belgrader Schwulen- und Lesbengruppe traten sogar in paramilitärische serbische Einheiten ein. Ausnahmen sind im serbischen Rest-Jugoslawien die ausdrücklich international orientierten Belgrader „Women in Black against War“, die wöchentlich Mahnwachen abhalten, das gerade neu gegründete Belgrader Schwesterprojekt zum Zagreber „Zentrum für Frauenopfer des Krieges“ und der „SOS-Notruf“. Eine ähnliche Entwicklung fand auch in Kroatien statt. Dem „autonomen Frauenhaus Zagreb“ wurde kurz nach Beginn der Kampfhandlungen vom „SOS-Notruf Zagreb“ und der nationalistischen Frauengruppe „Kareta“ vorgeworfen, unverhältnismäßig viele Serbinnen aufzunehmen.
Die Folgen der Nationalismusdebatte halten die feministische Szene Zagrebs seither in Atem, was nicht zuletzt auf die relativ große, internationale Resonanz, die national-orientierte Frauengruppen mit ihrer Arbeit hatten, zurückzuführen ist. Ein Beispiel dafür, wie die internen Konflikte durch Eingriffe von außen verschärft werden können, war die im letzten Herbst von der Frauenanstiftung ausgerichtete Konferenz „Frauen im Krieg“, die in Zagreb stattfand. Kroatische Frauengruppen hatten durchgesetzt, daß zur Tagung keine Serbinnen eingeladen wurden. Begründet wurde der Ausschluß damit, daß es lediglich um einen Austausch von Vertreterinnen der „überfallenen Nationen“ gehen solle. Eine gemeinsame Diskussion mit den „Aggressorinnen“ wäre unmöglich. Die Tatsache, daß die ebenfalls zur „überfallenen Nation“ zählenden, aber antinational eingestellten Mitarbeiterinnen des „autonomen Frauenhauses Zagreb“ auch nicht eingeladen wurden, verdeutlicht, daß es um mehr als um angegriffene Befindlichkeiten ging: Die weibliche Identifikation mit der Nation sollte nicht in Frage gestellt werden.
Entsetzt von den Vergewaltigungsberichten, luden Parlamentarierinnen aller Parteien Anfang Dezember die Aktivistinnen der unter verändertem Vorzeichen wiedergegründeten Gruppe „Tresnjewka“ zu einer öffentlichen Anhörung nach Bonn. Cjelka Mrkic, Präsidentin dieser kroatischen Frauenorganisation, hatte zusammen mit ihrer Stellvertreterin Nina Kadic gerade einen Bericht über die Vergewaltigungslager in Bosnien erstellt, auf den sich die spätere Medienkampagne über die „systematischen Massenvergewaltigungen“ beziehen sollte. Auf dem Titelbild des Berichts prangt die kroatische Nationalflagge. Der Text läßt wenig Zweifel an der Auffassung der Autorinnen hinsichtlich der Beziehung von nationaler Identität und Frauenidentität: „Vergewaltigungen und andere Formen der Erniedrigung zerstören sowohl die Nation als auch Frauen als Symbol für Mutterschaft“, heißt es da. Der Vorspann zu den mit Namen unterzeichneten Betroffenenberichten ergreift nicht Partei für die überlebenden Frauen. Statt sie als selbständige Individuen ernst zu nehmen, betonen die Autorinnen die Verzweiflung der Opfer, der „stummen Gefangenen“, die dem „zweiten Hitler“, Slobodan Milošević zum Opfer gefallen sind.
Die internationale und vor allem die deutsche Presse griffen diese Argumentation begierig auf: Vergewaltigungen waren plötzlich nicht mehr Verbrechen von Männern an Frauen, sondern Grausamkeiten der „Serbo-Tschetnischen Besatzungsarmee“ gegen das bosnische Volk. Die Verbrechen wurden auch im ehemaligen Jugoslawien für die Kriegspropaganda instrumentalisiert. Die Ausschlachtung der Verbrechen für die antiserbische Propaganda wird auch in dem Drang nach Zahlen und Statistiken deutlich. Dabei beherrscht vor allem die Frage: „Welche Nation hat die meisten Opfer?“ die Diskussion.
Daß selbst engagierte Feministinnen mitzählen und daraus ein Mehr oder Weniger an nationaler Betroffenheit ableiten, wertet die Zagreber „Frauenlobby“ als mangelnde Sensibilität der Frauenbewegung gegenüber den Auswirkungen nationalistischen Denkens.
Eine weitere, an sich positive Folge des internationalen Engagements gegen Vergewaltigungen im ex-jugoslawischen Krieg hat die Krise der feministischen Bewegung vor allem in Kroatien zugespitzt und zeigt zugleich die enge Verflechtung von Problemen der Frauenbewegungen im Kriegsgebiet mit denen der Feministinnen im Westen. Die Verteilung von Spendengeldern nach dem „Gießkannenprinzip“ erfüllt den eigenen Anspruch, der da lautet: „Wir helfen allen gleichermaßen, weil wir alle Frauen sind“ bestenfalls formal. Tatsächlich wird die Verantwortung dafür, daß „allen gleich“ geholfen wird an Projekte in Zagreb delegiert, die teils auch nationalistische Ziele und Interessen verfolgen.
Mit dieser Form der Unterstützung erlauben sich Frauen im Westen den Luxus, sich aus wichtigen politischen Fragen herauszuhalten. Die wohlmeinende Unterstellung, „weibliche Identität kommt vor nationaler“, ist so nicht das Ergebnis einer politischen Diskussion, sondern das Produkt westlich-feministischen Wunschdenkens. Dabei wird das eigene Verhältnis zur Nation genausowenig reflektiert wie das Selbstverständnis und gegensätzliche Engagement der ex-jugoslawischen Frauengruppen.
Diese Zurückhaltung westlicher Frauen entspringt einem Denken, das aus der Unentschlossenheit eine Tugend machen möchte und auf die Formel gebracht werden kann: Es steht dem Westen nicht zu, sich im Nationalismuskonflikt der ex-jugoslawischen Feministinnen ein Urteil zu erlauben. In der Praxis wirkt sich das weniger vornehm aus: Gestärkt wird auf diese Weise der nationalistische Mainstream, über Bord fallen die innenpolitisch in Bedrängnis geratenen Positionen und Gruppen. So erfahren serbische Feministinnen trotz ihrer konsequenten antinationalistischen Politik immer noch wenig Unterstützung, während über den Nationalismus kroatischer Frauengruppen, da sie ja wertvolle Arbeit für vergewaltigte Musliminnen leisten, großzügig hinweggegangen wird. Wie schnell sich diese implizite Parteinahme blamieren kann, wird deutlich, wenn Nationalisten die Fronten wechseln und neue Feindbilder produzieren: Plötzlich machen Kroaten gegen Bosnier mobil, und wieder sind die Vergewaltiger auf der gerade erst zur „anderen“ erklärten Seite.
Welche extremen Formen das emotionsgeladene Bedürfnis, Hilfe leisten zu müssen, annehmen kann, das sich aus dem Erschrecken über die Massenvergewaltigungen und „der eigenen Ohnmacht“ ableitet, zeigte das „Internationale Frauentribunal Zagreb“ im Februar. Mit ihrem Aufruf: „Wir, die Frauen in Freiheit, sind gefordert, die Opfer zu befreien“, maßten sich die deutschen Organisatorinnen des „Tribunals“ an, als Retterinnen der Frauen im ehemaligen Jugoslawien aufzutreten. Diese reduzierte Vorstellung von Freiheit und die selbstherrliche Arroganz trugen wenig zur Befreiung bei, führten dafür aber zum erwarteten Eklat: Obwohl zunächst keine Vertreterinnen von lokalen Frauengruppen als Rednerinnen vorgesehen waren, durften – nach massiver Intervention der kroatischen Regierung – letzten Endes doch noch eine Kroatin und eine Bosnierin aufs Podium. Eine für Ungarn sprechende Feministin stellte ihre Redezeit zum Verlesen eines Beitrags der antinationalistischen Feministinnen aus Serbien zur Verfügung. Das veranlaßte kroatisch-nationalistische Frauengruppen, unter Protest den Saal zu verlassen. Die Westpresse gab, erstaunt und erleichtert über den serbischen Beitrag, der die Politik Miloševićs scharf kritisierte, gute Noten. In deutlichem Kontrast zur großzügigen Gleichgültigkeit gegenüber dem Nationalismus kroatischer Feministinnen wurde hervorgehoben, daß die serbischen Feministinnen sich zu einer klaren und kritischen Position durchgerungen hätten.
Klare und kritische Positionen zu entwickeln ist derzeit eine dringliche Aufgabe für alle Fraktionen der Frauenbewegung. Die kroatische Feministin Stasa Zajovic wies längst darauf hin, daß die Ersetzung des Kollektivismus „Klasse“ durch den der „Nation“ zum Aufbau eines bestimmten Typus von Nationalstaat geführt hat. „Dieser bedeutet Diskriminierung, Marginalisierung und Ausschluß aller Unterschiede ethnischer, ideologischer und sexueller Art.“ Das von einer nationalen Oligarchie beherrschte Gebilde sei nicht nur anachronistisch, sondern befördere in allen Republiken eine nahezu identische innenpolitische Rechtsentwicklung, meint Stasa Zajovic. Die politische Diskriminierung von Oppositionellen mit Hilfe der selektiven Vergabe der Staatsbürgerschaft, die sukzessive Abschaffung der Pressefreiheit und eine zunehmend repressive Reproduktions- und Familienpolitik stehen nicht nur in Kroatien auf der Tagesordnung. In Ex-Jugoslawien wächst zusammen, was auch in anderen europäischen Ländern zusammengehört: Patriarchat und Nationalismus. Die Frauenbewegung verfügt, geht sie nicht, wie sich das teilweise abzeichnet, weit hinter bereits Erreichtes zurück, als einzige wenigstens theoretisch über das Instrumentarium, diese Einheit zu bekämpfen.
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