piwik no script img

Das Stützkorsett des Björn Engholm

■ Nach seiner Beichte in Bonn mußte sich Engholm auch den Genossen und der Presse in Schleswig-Holstein stellen: Ein Mann wie sein eigenes Abziehbild

Kiel (taz) – Ein Korsett ist eine nützliche Einrichtung. Es hält aufrecht und das zusammen, was auseinanderzufallen droht. Irgendwann hat sich der Berufspolitiker Engholm solch ein Stützkorsett zugelegt, einen Panzer aus permanenter Selbstkontrolle und mißtrauischer Vorsicht. Am Montag, dem Tag seines Rücktritts, konnte er ihn gut gebrauchen. Es liegt etwas Gnadenloses in der Beherrschung, mit der er in Schleswig- Holstein der Öffentlichkeit gegenübertritt.

Im Kiel-nahen Rendsburg hat sich die Führungsspitze der Sozialdemokraten zur Krisensitzung versammelt. Sie wußte bereits seit einigen Tagen, was auf sie zukommt; Engholm hatte sie vorbereitet. Jetzt muß gehandelt werden: die Nachfolge für den Ministerpräsidenten bestimmt und trotz der desolaten Lage nach dem Abgang Jansens und Engholms Führungsstärke an der Förde bewiesen werden.

„Ich glaube, ich sollte sagen, daß die Trauer immer noch beherrschend ist“, äußert Fraktionsvorsitzender Gert Börnsen in einer Sitzungspause. Doch schon das in Bürokratendeutsch gekleidete Gefühl und die angestrengte Röte unter dem weißen Bart verraten den Pragmatiker. Hier wird nicht gejammert, sondern die Depression in hektischem Management aufgelöst.

Für Engholm, den Gescheiterten, beginnt nach der Beichte am Rhein die zweite Runde öffentlicher Bekenntnisse. Das Land, wo sein Aufstieg und Fall spielten, habe ein Recht auf diesen Auftritt, meinen die Genossen und jagen ihn durch die Arena: hinein zu den Funktionären in den Sitzungssaal, raus vor das Häuflein trauernder Ortsvereinsmitglieder, rein in die Pressekonferenz.

Leicht geduckt, in die Blitzlichter blinzelnd, betritt er den Raum, schaut etwas benommen, mit einem Hauch Panik auf die Meute, über die er noch morgens geklagt hatte, sie würde ihn „jeden Tag wie Frischfleisch vorführen und einmal pro Woche schlachten“. Doch sofort werden die Schultern wieder straff, er setzt sich nieder und schlägt die Beine übereinander. Jetzt noch ein Zigarillo angezündet, kurz und typisch die Zähne gefletscht – schon gleicht er wieder seinem eigenen Abziehbild.

Nur die Stimme ist etwas rauher als sonst, wohl vom vielen Rauch, als er antwortet: Ja, sein Landtagsmandat würde er gerne behalten, um nicht völlig den Bezug zur Politik zu verlieren. Nein, die Stimmung seiner Kieler Genossen sei freundlicher gewesen, „als man es erwarten würde“. Er lächelt sogar ein bißchen dabei und noch einmal, als er politisch Bilanz zieht: die Zeit als Ministerpräsident habe ihm ausgesprochen Spaß gemacht, doch könnte er noch einmal wählen, würde er auf die Führung der Partei wohl gerne verzichten.

Als typischer Engholm wählt er sachfremde Bilder, um seine Situation zu illustrieren, redet vom Hochsprung und der überhöhten Meßlatte für Sozialdemokraten und von seinem Fehltritt als „die Sache als solche“, die er nicht als „schwere Last“ betrachte. Dabei reibt er die Hände aneinander, als müsse er Dreck abwischen. Nach einer Viertelstunde unter den Fragenden hat er sich selbst bewiesen, daß das Korsett auch heute hält. Da wird er fast locker, die Gesten ausholender, der Blick lebendiger – oder ist es die Erleichterung, weil nun bald alles vorbei ist? Aber das ist es ja nicht. „Der Bruch“, sagt er, „kommt erst nach heute abend.“ „Man“ brauche eben gewisse Zeit, um mit so einer Situation klarzukommen.

„Tragikomisch“ findet es der ehemalige Saubermann, dem nun ein leichter haut gout anhaftet, daß zwei Regierungen über die Machenschaften eines Barschel und Pfeiffer gestürzt sind. Dann versichert er noch einmal ausdrücklich, daß die Affäre bereits nach dem Untersuchungsausschuß von 1987/88 abgeschlossen gewesen sei. Alles andere seien „Nachfolgefehler“. Engholm erzählt noch ein paar freundliche Worte über seine voraussichtliche Nachfolgerin Heide Simonis: „Sie ist eine außergewöhnlich begabte Politikerin“ und verschwindet. Aufrecht. Anders kann ein Abgang bei ihm nicht sein. Im Nebenraum sitzt seine Frau Barbara. Sie, die sich immer aus der Öffentlichkeit ferngehalten hat, kann ihr heute nicht entgehen. Leicht zusammengesunken und stumm hockt sie da, eine große, schwarzhaarige Frau, die auf ihren Mann wartet.

In der Zwischenzeit hat der Landesvorstand der SPD Heide Simonis einstimmig zur künftigen Ministerpräsidentin nominiert. Trotzdem sagt sie: „Ich bin unendlich traurig, daß alles so gekommen ist“, und guckt dabei so, daß man es ihr ohne weiteres glauben kann. Bekommt Simonis den Segen des SPD-Landesparteitages Mitte Mai und den des Parlaments, wird sie die erste Regierungschefin in einem Bundesland. „Hoffentlich ist sie nicht so ein Sensibelchen“, grummelt ihr ein Basissozi hinterher. „Die Heide doch nicht“, antwortet ein anderer, „die schlägt erst zu und fragt dann.“ Bascha Mika

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen