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Kulinarische Mutprobe: Eat East! Von Michaela Schießl

Mutproben werden immer unmenschlicher. Vor ein paar Jahren noch begnügten sich die Kids mit S-Bahn-Surfen, Bandenkriegen, Amokfahrten. Doch als das die Nerven nicht mehr kitzelte, verfielen sie auf eine wahrhaft diabolische Idee: Essen gehen im Osten.

Tatsächlich ist diese Mutprobe äußerst anspruchsvoll. Denn der Prüfling muß sich auf mehreren Ebenen beweisen. Nicht nur, daß er die Speisen ganz im Sinne der altindischen Gaumenfolter wirklich kauen und schlucken muß. Er muß auch Fassung bewahren angesichts der aufgetragenen Köstlichkeiten. Denn nur in Ausnahmefällen erinnern diese an das, was man im Durchschnitts-Westen unter der Bezeichnung serviert bekommt. Zur Prüfung gehört ebenfalls, nicht zu zucken angesichts der Hartnäckigkeit, mit der im Osten die kleinsten Beilagen, etwa Brot zum Salat, verweigert werden. Viele Punkte kann einheimsen, wer sich nicht erregen läßt von selbstherrlichen Bedienungen. Aktivität indes ist gefordert, wenn's ums Preis-Leistungs-Verhältnis geht. Besonders Dreistes wird vom Ausflugslokal Wartburg vermeldet. Eine unschuldige, schwer mißhandelte thüringische Bratwurst wird auf einen riesigen Teller gelegt, begleitet von einem Teelöffel Senf. Stunden vorher schon hatte man das arme Würstchen in altem Pommes-frites-Öl gefoltert und anschließend so lange unter einer Höhensonne lauwarm gehalten, bis es, völlig verhutzelt, endlich einen Liebhaber fand. Für 5,50 Mark wechselte die Leckerei den Besitzer, der erstmals in den Genuß von Watte im Naturdarm kam. Nur den besten Mutprobanden gelang es, den italienischen Thüringer-Spezialisten, der sich als Koch ausgibt, zur Rücknahme und ordnungsgemäßen Entsorgung des Sondermülls zu bewegen. Dagegen wirkt der Preis von 7,50 für eine bunte Salatplatte in einem Restaurant in Eisenach auf der Karte noch ganz vernünftig. Doch die Platte war in Wahrheit ein Unterteller. Darauf wurden die größten, ältesten, dunkelgrünsten Kopfsalatblätter drapiert, die das Bundesland hergab. Auf ihnen lagerten vier Silberzwiebeln, drei Dosenoliven, ein Eßlöffel Dosenbohnen, acht halbe Gurkenscheiben und eine geachtelte Tomate. Der dazubestellte italienische Parmaschinken (12,90) entpuppte sich als ordinäres Rauchfleisch mit viel Fett und ohne Melone. Doch der Hunger war groß und die Streitlust gering, und außerdem wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Doch das „Hat's geschmeckt?“ der Bedienung war eine glatte Kampfansage und bedurfte einer Antwort. Beleidigt zog sie ab zum Koch, wo sie sich eine weitere Demütigung überlegte: Obwohl ratzekahl aufgegessen, wurden die Speisen nicht abgerechnet. Von doofen Wessis nämlich läßt man sich nicht blöde anreden. Solchermaßen diszipliniert, war der Schwung dahin. Widerstandslos verschlangen wir tags drauf einen gemischten Salat Spezial (Tiefsee-Krabben auf Kraut-Möhren- Salat). Und nur halbherzig war unser Widerstand, als der Kellner in einem Erfurter Biergarten sieben Mark für ein Glas Apfelsaftschorle verlangte. „Meine Dame, dies hier ist ein Spezialitätenrestaurant“, sagte er distinguiert. Auch Apfelsaftschorle kann spezial sein. Special East eben.

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