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Japan im Fußballfieber

Mit Pierre Littbarski beginnt am 15. Mai die erste Saison der japanischen Fußball-Profiliga  ■ Aus Tokio Georg Blume

Pierre Littbarski, Deutschlands erster Fußballstar in japanischen Diensten, ist sich des Jubels gewiß, wenn er sein erstes Tor für den Eisenbahnclub JEF United erzielt. Schon ein brasilianischer Volley von Superstar Zico und ein englischer Flugkopfball von Stürmer-As Gary Lineker reichten aus, um Nippons Fans bereits vor Beginn der ersten Profisaison in der japanischen Fußballgeschichte in Hochstimmung zu versetzen. In Nagoya sicherte Linekers Tor den 2:1-Sieg der Gastgeber Grampus Eight über die italienische Elf von Lazio Rom. Zico erreichte mit den Kashima Antlers gar ein 2:0 über das brasilianische Spitzenteam Fluminense. Beide Begegnungen waren zwar nur Vorbereitungsspiele für die neue Japan-Liga (japanisch wie englisch gesprochen: „J-League“), die erst am kommenden Samstag beginnt, dienten aber als Beweise, daß die Japaner tatsächlich Fußball spielen können – vermutlich besser denn je. „Wenn sich die Japaner einer Sache hingeben“, beobachtete Lineker seine neue Fußballheimat, „tun sie es meist mit Stil.“

Nie zuvor hat Fußball die Japaner so fasziniert wie heute. In dieser Woche, als sich die Nation an sechs durchgehenden Feiertagen erfreute, beherrschten die Kicker Nippons großzügige Freizeitszenerie. Überall auf den Wiesen der Hauptstadt tummelten sich Kinder ums schwarz-weiße Leder. Es ließe sich wetten, daß die gleichen Kids noch vor einem Jahr den Baseball- Handschuh trugen.

Wie so oft in Japan gedieh auch die Liebe zum Ball nicht spontan. Das Fußballspielen an sich ist für Japan nicht neu. Schon mit den Engländern im letzten Jahrhundert gelangte der Ball ins Inselreich. Alle großen Universitäten besitzen seitdem Fußballplätze. Doch richtig begeistern wollte sich bislang niemand für das Leder. Im Baseball und Tennis, den bislang populärsten westlichen Sportarten, eiferten die Japaner lieber den Amerikanern nach. Das änderte sich erst, als die größten Unternehmen des Landes beschlossen, aus dem Exoten-Vergnügen ein Geschäft zu machen.

Heute stürmt Gary Lineker mit seinem Team Grampus Eight auf Kosten von Toyota, Nippons größtem Automobilhersteller. Zico ist dagegen der Stahlfirma des Großkonzerns Sumitomo und seiner neuen Heimatstadt Kashima zu Dank verpflichtet. Hier taten sich Stadtbehörden und das größte Unternehmen am Ort zusammen, um die Kashima Antlers zu gründen. Tatsächlich will die Liga das Prinzip durchbrechen, wonach im japanischen Profisport immer nur Betriebsmannschaften gegeneinander antreten. Deshalb müssen die Teams formell unabhängige Vereinsstrukturen vorweisen und sind verpflichtet, lokale Nachwuchsprogramme zu unterhalten, die für alle Kinder und Jugendlichen zugänglich sind.

Pierre Littbarski hat sich eine der bekanntesten japanischen Traditionsmannschaften ausgesucht. Sein neuer Verein JEF United wird gemeinsam von der Ostjapanischen Eisenbahn und dem Elektromotorenhersteller Furukawa finanziert. Vereinssitz ist die Tokioter Arbeitervorstadt Ichihara. Die alte Betriebsmannschaft von Furukawa, aus der JEF United hervorging, gewann 1986 den Asiencup der Landesmeister. Ihr entstammt auch Kozo Kinomoto, der 44jährige Generalsekretär der neuen Profiliga.

Kinomoto ist der unbestrittene Gründungsvater der J-League. Als er vor zehn Jahren Furukawa verließ und den Job als Generalsekretär der japanischen Fußball-Amateurliga übernahm, hatte sich sein altes Unternehmen gerade gegen die Professionalisierung des Fußballs ausgesprochen. Doch Kinomoto, dessen eigene Fußballkarriere durch eine lebensgefährliche Lungen- und Nierenerkrankung frühzeitig beendet wurde, gab sich nach einer glücklichen Genesung den Fußballträumen hin und überzeugte Nippons Konzernbosse von dem waghalsigen Unternehmen.

Auf annähernd 30 Millionen Mark pro Jahr schätzt Kinomoto die Unterhaltskosten eines Teams in der J-League. Voraussichtlich nicht mehr als die Hälfte davon können die Vereine während der ersten Jahre auf ihrer Einnahmenseite verbuchen. Den Rest müssen die Großsponsoren übernehmen. Einen Großteil der Kosten verschlingen die Löhne: Japans Spitzenspieler Kazu Miura, der seine Lehrjahre in Brasilien verbrachte, erhält bereits eine Jahresgage von 1,5 Millionen Mark. Vom Sozial- Dumping, wie es deutsche Gewerkschaften den japanischen Unternehmen gelegentlich vorwerfen, kann beim Fußball keine Rede sein.

Mit besonderer Sorgfalt wählen die J-Clubs ihre ausländischen Spieler aus: Gefragt sind vornehmlich Lateinamerikaner, die ihren Mannschaftskollegen die noch fehlende technische Raffinesse beibringen. Darüber hinaus aber brauchen die Teams große Vorbilder: Zico, Lineker und Littbarski sind für diese Rollen eingeplant. Alle drei verkörpern den mannschaftbeseelten, überfairen Fußballtyp und nicht die individualistische Supershow. „Nicht der Stil von Gary Lineker ist wichtig, sondern der Stil der Mannschaft“, kommentierte der Engländer und traf damit genau die japanischen Mannschaftserwartungen.

Die Fans aber sind in Japan die gleichen wie überall: Sie warten auf Tore. Eine Million Karten hätten zum Ligaanstoß am 15. Mai in Tokio verkauft werden können. Schon jetzt kommen Zehntausende zu den Vorbereitungsspielen. Franz Beckenbauer, der frühzeitig den Japanern das Fußballspielen empfahl und heute dem Team der Red Diamonts von Mitsubishi Motors als Berater dient, ist optimistisch: „In den nächsten zehn Jahren wird die Fußballwelt erleben, wie professionell die Japaner mit einer Sache umgehen, die sie einmal begonnen haben.“ Dann, im Jahre 2002, findet nach Beckenbauers Plänen die Fußballweltmeisterschaft in Japan statt.

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