: Debakel für britische Konservative
Ein traditionell konservativer Wahlkreis geht bei Nachwahlen verloren, von 16 Grafschaften bleibt den Tories nach den Kommunalwahlen nur noch eine / Liberale und Waliser als Gewinner ■ Von Ralf Sotscheck
London (taz) – Der vergangene Donnerstag geht als schwarzer Tag in die Parteiannalen der britischen Konservativen ein. Zwar hatten sie mit deutlichen Stimmverlusten bei den Kommunalwahlen in England und Wales sowie bei der Unterhaus-Nachwahl in Newbury gerechnet – doch ein Debakel von diesem Ausmaß hatten selbst Pessimisten nicht erwartet.
Der Unterhaussitz in Newbury, westlich von London, war seit 1924 fest in der Hand der Konservativen. Noch vor einem Jahr hatten sie ihn mit einer klaren Mehrheit verteidigt. Bei der Nachwahl, die durch den Tod ihres Abgeordneten erforderlich geworden war, verloren sie vorgestern 29 Prozent der Stimmen und mußten den Sitz an die Liberalen Demokraten abgeben, die auf über 65 Prozent kamen. Deren Kandidat, der 44jährige David Rendel, sagte, daß „Newbury für die Menschen im ganzen Land gesprochen“ habe. Die Regierung, so Rendel, habe ihre Integrität eingebüßt.
Premierminister John Major, dessen Parlamentsmehrheit nun auf 19 Mandate geschrumpft ist, bestritt gestern, daß seine Partei gedemütigt worden sei. Er sagte, das Ende der Rezession in Großbritannien sei zwar in Sicht, doch hätten die Menschen noch immer darunter zu leiden. „Deshalb haben sie auf die traditionelle Art geantwortet“, sagte Major.
Der Labour-Kandidat Steve Billcliffe interpretierte das Wahlergebnis als Erfolg: „Es ist ein hervorragendes Resultat für die Anti- Tory-Mehrheit, und Labour ist mit Sicherheit ein Teil davon.“ Allerdings ein sehr kleiner Teil: Billcliffe kam gerade mal auf zwei Prozent und gewann nur 700 Stimmen mehr als der Rocksänger Screaming Lord Sutch mit seiner „Monster Raving Loony Party“, der wiederum die Grünen hinter sich lassen konnte.
Auch bei den Kommunalwahlen in England und Wales mußten die Tories verheerende Verluste einstecken. Bisher verfügten sie in 16 der 47 Grafschaften, in denen am Donnerstag gewählt wurde, über die absolute Mehrheit. Davon ist gerade mal eine – nämlich Buckinghamshire – übrig geblieben. Gewinner waren auch in diesem Fall die Liberalen Demokraten, die um sieben Prozent zulegten und die Zahl ihrer Sitze sogar verdoppeln konnten. Die größten Gewinne verzeichneten sie im Südwesten Englands, wo die Tories zum Teil seit über hundert Jahren unumstritten herrschten. Noch vor zehn Jahre beherrschten die Konservativen landesweit 188 Bezirksverwaltungen; heute sind es nicht einmal mehr hundert.
Neben den Liberalen zählten auch die walisischen Nationalisten von Plaid Cymru zu den Gewinnern. Sie legten um 14 Sitze zu und sind in den walisischen Grafschaftsräten mit 41 Mandaten jetzt zweitstärkste Partei nach Labour. Ihr Präsident Dafydd Wigley sagte, seine Partei sei weiterhin „auf Kurs in Richtung Durchbruch“.
Auch Labour-Chef John Smith sprach von einem Erfolg für seine Partei: „Wir haben gezeigt, daß die Behauptung, wir könnten aus eigener Kraft keine Parlamentswahl gewinnen, Unsinn ist.“ Doch der Labour-Zugewinn von insgesamt 90 Sitzen reichte lediglich, um eine weitere Grafschaft unter ihre Kontrolle zu bringen – Northamptonshire. Die dortige Labour-Chefin ist Ehefrau eines Cousins der ehemaligen Premierministerin Margaret Thatcher.
Das Wahldebakel folgt auf eine demütigende Niederlage der Regierung in der Endlos-Debatte des Unterhauses zu den Maastrichter Verträgen am Mittwoch.
Britische Gerichte müssen über Maastricht entscheiden
Nachdem Parlamentssprecherin Betty Boothroyd zum Entsetzen der Regierung eine Diskussion über den britischen Ausstieg aus der EG-Sozialcharta zuließ, konnte die Labour-Opposition endlich ihren seit langem angekündigten Antrag stellen, sämtliche Hinweise auf die Sozialcharta – also auch den britischen Ausstieg – aus der Maastricht-Gesetzesvorlage zu streichen.Da die Euro- Gegner bei den Konservativen mit der Opposition gemeinsame Sache machten, war eine Niederlage für die Regierung nicht mehr zu vermeiden. Um sich eine demütigende Abstimmung zu ersparen, stimmte das Kabinett kurzerhand dem Labour-Antrag zu. Die Euro- Gegner bei den Konservativen sind nun überzeugt, daß Maastricht insgesamt gekippt werden kann; Labour hofft, daß die britischen Gewerkschaften unabhängig davon die Sozialcharta vor dem Europäischen Gerichtshof durchsetzen können. Fest steht, daß der Zeitplan der Regierung zur Maastricht-Ratifizierung geplatzt ist: Zunächst haben die Richter das Wort.
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