: Eine amerikanische Erfindung
Fast ohne Pomp, aber nicht ohne Patzer: „Amerikanische Kunst im 20. Jahrhundert“ in Berlin ■ Von Ulf Erdmann Ziegler
Während vom Osten her dunkle Wolken aufgezogen sind und das Licht der Abendsonne die Fenster in schillernd farblose Flächen verwandelt, wird im Berliner Martin- Gropius-Bau die nächste große Ausstellung von Christos Joachimides und Norman Rosenthal eröffnet. Wie immer lehren sie Berlin halb staunen halb fürchten. Die Berlinische Galerie (die kommunale Sammlung) bekommt mal wieder gezeigt, daß man sehr wohl erhebliche Mittel für interessante Ausstellungen genehmigt bekommt, die Berliner Maler ducken sich, während die Dampfwalze der New Yorker Konkurrenz sie heimsucht; und die jüngsten Künstler und ihre Freunde zeigen auf den großen Feind Amerika, als dessen diplomatischer Arm ihnen die verbürgte Kunst des Landes erscheinen will.
Unter dem Schirm der Schirmleute Her Majesty, Weizsäcker und Clinton ist die ganze Sache schon wieder so aufgeblasen, daß einem die ironische Dimension des Unternehmens fast entgehen könnte: „Amerikanische Kunst im 20. Jahrhundert. Malerei und Plastik 1913–1993“ ist die Schau, nach der kein „Zeitgeist“ – so heißt die GmbH des Ausstellungsmachers Joachimides – auch nur im geringsten gefragt hat. Sie ist so antizyklisch und untrendy, daß sie eigentlich nur abseitig sein kann oder der Anfang eines Anfangs oder der Anfang einer Rückkehr. Alles, was Amerika im Moment an bildender Kunst ausspuckt – das ganze Register politisch korrekter, nörgeliger, kleinteiliger, sich investigativ gebender Kunst mit penetrant ausgefahrenen politischen und historischen Bezügen –, ist hier nicht zu sehen, Keith Harings gelbe Tuschezeichnung mit stark archaisierten Geburts- und Todesszenen („Ohne Titel“, 1981) hängt über dem Ausgang, als letzte Nachricht. Und während die heroischen Zeiten der fünfziger Jahre – die unter dem Etikett „abstrakter Expressionismus“ roh gebündelte Kunst – in Amerika seit gut einem Jahrzehnt mit Liebe und Sorgfalt dekonstruiert werden, kehren sie im Lichthof des Gropius-Baus als Ikonen künstlerischer Reinheit zurück. Ein zusätzliches Glasdach, über dem Erdgeschoß nach dem Muster des höherliegenden Daches eingefügt, umgibt die spirituellen Kostbarkeiten aus der einstmals Neuen Welt mit der Intimität eines Gartens.
Biographie, Bild, Geschichte?
Allen Erwartungen zum Trotz ist der zentrale Platz der Ausstellung (die diesmal nicht das darüberliegende Stockwerk mit einschließt) nicht das schlagende Ereignis der Show. Das mag an der Qualität der Exponate liegen: Gerade die sechs Rothkos, in sich gegenüberliegenden Kabinenhälften (zu je dreien) als Herzstück präsentiert, verraten nur wenig von der Magie des Malers, der sich wie keiner seiner Zeitgenossen als Schattenfigur im Betrachter aufgehen sah, also das Versinken in der Fläche zu antizipieren suchte; und als das nicht mehr zu funktionieren schien, sich selbst und dem unsichtbar gewordenen Maler das Leben nahm. Allen sechs Exponaten fehlt der physische Glanz, der etlichen Bildern Mark Rothkos (allein im Nachlaß fanden sich fast 800) erst die eigentliche Wucht verleiht. Eins der sechs Bilder zeigt Rothkos Versuch, kurz vor seinem Tod, mit dem Wechsel vom Hochformat zum Querformat einen Horizont einzuführen. Es ist offensichtlich, und bisher auch nicht bestritten worden, daß die Querformate mit den dunklen Himmeln nicht zu den starken Arbeiten Rothkos gehören. Womit die Frage aufkommt, ob die Ausstellungsmacher Joachimides/Rosenthal biographisch (Entwicklung des Malers), historisch (Verhältnis des Werks zu Werken anderer) oder im Sinne des Meisterwerks (Dies ist das Bild!) argumentieren. Bei Jackson Pollock wollen sie offensichtlich die rasante Entwicklung zum sagenumwobenen action painter und die problematische Rückbildung der „automatisierten“ Gesten nachzeichnen; bei de Kooning scheint der Querschnitt über ein Jahrzehnt zu genügen, weil das Kraftpotential des Malers damit als ausgemessen gelten kann (alle Arbeiten sind hervorragend). Bei Clyfford Still reicht ein kleines Ensemble jener für ihn sehr typischen Arbeiten – die immer so aussehen, als habe jemand sechs Schichten Tapeten dilettantisch zu entfernen versucht und im Zustand eines gewissen Gleichmaßes belassen –, um seine Irrelevanz zu belegen; und bei Barnett Newman, den man vielleicht gar nicht in einem Raum ohne Decke zeigen kann, reicht eine erstaunliche Gruppe seltener Arbeiten um 1950 nicht aus, um seinen Weg zu belegen, der mit dem Festhalten am als „wahr“ Gefühlten zu tun hat. Eine Arbeit um 1970 (als Newman starb) hätte die seherische Kraft dieses Malers belegen können, dessen Werk und Person ja auch den Brückenkopf zu späteren Schüben einer diszipliniert-sensuellen Malerei darstellt: Brice Marden, der in dieser Ausstellung bei den Minimalisten gezeigt wird, und Peter Halley, der übergangen wurde.
Trotz des nicht unerheblichen Renommees der Ausstellungsmacher muß man unterstellen, daß bei weitem nicht alle Arbeiten zu holen waren, die sie gern gehabt hätten, auch wenn die geglückte Ausleihe von Pollocks gigantischem „Mural“ von 1943 und Robert Rauschenbergs „Canyon“ (von 1959, eigentlich nicht exportierbar wegen des ausgestopften Adlers) als triumphal verbucht werden kann. Die „Zeitgeist“-Gesellschaft ist eben kein Louvre; sie hat potentiellen Leihgebern im Gegenzug nichts zu bieten. Das erklärt vielleicht manches, was sich als Kompromiß darbietet.
Beschnuppern zu empfehlen
Die „heroische“ amerikanische – oder eigentlich New Yorker – Malerei ist eine amerikanische Erfindung, in doppeltem Sinn: Mit unglaublichem Selbstvertrauen wurde die gestische Malerei im kollektiven Bewußten der Kulturelite verankert; und tatsächlich ist der abstrakte Expressionismus eher durch die Absage an europäische Ideenimporte zu begreifen denn als deren Transformation. Letztlich geht es um einen erstaunlichen Prozeß der Entleerung, des Loslassens, einen programmatischen Sieg über das Programm.
Joachimides und Rosenthal versuchen, die amerikanischen Wurzeln einer (eher als der) Kunst dieses Jahrhunderts zu zeigen, und dieser Teil – die ersten drei Räume– ist der gelungenste der Ausstellung. In sandigem Gelbton getüncht, zeigen sie die skurrilen Kooperationen von Man Ray und Marcel Duchamp, die schwammigen Stadt- und Naturbilder von Georgia O'Keefe und einen Raum mit fünf Malern der zwanziger Jahre, von denen man sagen darf, daß sie einige Ikonen des „typisch Amerikanischen“ vorweggenommen haben. So kann man zum Beispiel sehen, daß es ein Flaggengemälde gab, als Jasper Johns noch nicht einmal das Licht der Neuen Welt erblickt hatte (Gerald Murphy: „Villa America“, 1922), und die Idee bei Johns, einzelne Ziffern zu formatfüllenden Gemälden aufzublasen, stammt offensichtlich von Charles Demuth, der die stilisierte „5“ allerdings noch aus der Tiefe des Raumes auf sich zukommen sieht, in Gold. Die komplizierte Grafik der Verpackung des Zigarettenpapiers „LA +“ und die blaßblaue Odol-Flasche, von Stuart Davis 1921 bzw. 1924 auf Leinwand gebracht, sind natürlich mit der Warenanbetung Warhols leicht in Verbindung zu bringen. Andererseits wird im Vergleich klar, daß die Aggression der Pop Art sich eben nicht nur daraus speiste, das Triviale mit physischer Wucht in die Ikonographie der Malerei zu klotzen. Das war schon geschehen. Später kam es darauf an, wie das vonstatten ging.
Über den Lichthof kommend, betritt man auf der Ostseite des Gebäudes einen Raum mit Cy Twomblys und Rauschenbergs, und Rauschenberg an Twombly messend, sieht man, wie begeistert Rauschenberg vom Malerischen ist, wenn auch mit einem elaborierten Hang zum Groben. Dennoch wird an der dogmatischen Trennung der „Fünfziger“ und „Sechziger“ in penetranter Weise festgehalten. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß sich Johns und Rauschenberg im Zentrum der Debatten um die heroischen Feinheiten gestischer Malerei bewegt hatten. So hatte Rauschenberg 1951 an seine Galeristin geschrieben, seine neue Gruppe von Gemälden dränge vor „zu einem Ort in der Malerei, an dem die Kunst noch nicht angekommen ist“, und in diesem Zusammenhang einer malerischen Malerei wurde seine Kunst auch gesehen.
Über eine vorhersagbare Präsentation der Pop Art, deren schönste Stelle eine äußerst schlichte Präsentation von zum Teil sehr komischen Claes-Oldenburg-Objekten ist, kommt man auf dem Weg zum Minimalismus durch den Buchladen, der vielleicht besser vor der (am Nordportal eingerichteten) Cafeteria gestanden hätte, wo statt dessen zwei niedliche Serras aus Sicherheitsgründen statt auf dem imposanten Steinboden auf Paletten abgestellt sind, ein kaum verzeihlicher Frevel am Meister des Gleichgewichts. Danach, im nordwestlichen Viertel des Gebäudes, gewinnt die Ausstellung Kontur, vor allem dadurch, daß für die Objekte angemessen Platz geschaffen worden ist. Eingehende Betrachtung bis zum Beschnuppern ist zu empfehlen bei Bruce Naumans großartiger Bodenskulptur „Modell für Tunnel, hergestellt aus den Überresten von anderen Projekten“ (1979/80), einem Drillingspropeller aus Fiberglas, Gips und Holz; und die größte Überraschung der Ausstellung ist eine 1969er-Installation des Licht-Künstlers James Turrell, in der die Außenwand des letzten Raums wie sonnendurchflutete Gaze erscheint, allein durch die gleißenden Projektionen, die die Gestalt des Kritikers– dieses Mal ein auf Krücken humpelndes Männlein mit Rucksack – vielfach in scharfen Schatten auf die helle Fläche zeichnen.
Signal größter Verlegenheit
Um das letzte Viertel der Ausstellung zu sehen, geht man zurück und kann im Lichthof die Neonskulptur von Flavin entdecken, die die restaurierte Holzdecke des Pseudo-Renaissance-Baus in ein absonderliches schattenloses blaues Licht taucht, und sich auf der entgegengesetzten Seite bei einem Gary-Hill-Video langweilen, dessen Gebrabbel die vorgeschriebene religiöse Ruhe der Maler im Innenhof stört. Die letzten Räume zeigen, in enger Montage, wichtige Positionen der achtziger Jahre, eher ein An-den-Fingern-Aufzählen als ein Ausstellen. Leider sind auch wieder zwei Null-Figuren dabei: Jonathan Borofsky, ein wenig begnadeter Illustrator von nicht vorhandenen Ideen, und Julian Schnabel, von dem Robert Hughes korrekt angemerkt hat, seine Arbeit verhalte „sich zur Malerei wie Stallones Arbeit zur Schauspielerei“.
Wirklich bedauerlich ist es, daß es nicht gelungen ist, eine repräsentative Fotografie-Abteilung aus dem Getty Museum in Malibu zu leihen, was geplant war. Die rückhaltlose Einbindung großer Fotografie ist ja ein amerikanisches Spezifikum dieses Jahrhunderts. Die Westküste, ohne Hockney und Diebenkorn ohnehin grotesk unterrepräsentiert, wäre mit fünf oder sechs Fotografien Westons mit der ihr eigenen Feierlichkeit in Erscheinung getreten. Und: Was sagt uns ein de Kooning, wenn man daneben den Robert Frank nicht sieht? Und wie ungeheuerlich blaß erscheint das amerikanische Interesse an der menschlichen Physiognomie, wenn man Diane Arbus unterschlägt? In diesem Zusammenhang fällt schon auf, daß Joachimides und Rosenthal einen Kontext affirmativ aufgreifen, der gleichzeitig verengt und ausgehöhlt erscheint: Was fehlt, ist der Blick auf das „High & Low“, die Verschmelzung von Hoch- und Popularkultur. Wieviel mehr könnten wir über die Comic-Paraphrasen Roy Lichtensteins erfahren, wenn sich mal jemand die Mühe machen würde, die Vorlagen herbeizuschaffen. Die Ausstellungsmacher haben – wie einer der ersten Besucher, der Kunsthistoriker Michael Baxandall, anmerkte – die Fünfziger in den Mittelpunkt gestellt und die restlichen Referenzen diesem Geschmackstableau angepaßt. Amerikanische Kunst tut sich auf wie der Balg eines Akkordeons, in dessen geblähter Mitte die Malerei unangefochten Platz hat.
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Fortsetzung
Während man die Kunst der Auslassung für eine Politik der Form halten kann, ist eine mangelhafte Präsentation ein unwiderlegbares Signal größter Verlegenheit. Von David Smith sind vier extrem unterschiedliche Skulpturen hübsch aufgestellt, aber es reicht nicht für eine Entdeckung des manischen Schrott-Verwerters, was insofern bedauerlich ist, als den 1965 tödlich verunglückten Bildhauer in Deutschland kaum jemand kennt. Gravierender ist die Präsentation jüngerer, farbiger Reliefarbeiten Frank Stellas, die– in Verbindung mit den frühen, strengen Emaillefarben-Bildern – ihn als einen der stärksten Künstler dieses Jahrhunderts zeigen könnten. Er ist vielleicht am wenigsten festgelegt auf die Verlängerung des Begonnenen, die Verfestigung der Images. Aber die Arbeiten sind in einen schmalen Gang gehängt, versteckt wie eine Peinlichkeit; man hängt ja auch keinen Matisse in die Besenkammer. Ansonsten eher atmend und frei, unbelastet von dem hysterischen Chic von „Metropolis“, läuft die Ausstellung im Fall Stella harsch an ihrem Anspruch auf: Die Kunst ist da, aber nicht die Augen, sie zu sehen.
Christos M. Joachimides und Norman Rosenthal: „Amerikanische Kunst im 20. Jahrhundert. Malerei und Plastik 1913–1993“. Ausstellung im Martin-Gropius-Bau, Berlin, bis zum 25. Juli. Ausstellungsarchitektur Jürg Steiner. Katalog 524 Seiten, Prestel-Verlag, 49 DM. In der Royal Academy of Arts, London, vom 16.9. bis 12.12.1993.
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