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Mit Gewalt für Genkartoffeln

BesetzerInnen des Versuchsfeldes von BiologInnen angegriffen / Weltweit etwa 1.100 Freisetzungsexperimente mit genmanipulierten Pflanzen  ■ Von Ute Sprenger

Berlin (taz) – Am vergangenen Wochenende kamen sie in Niedersachsen auf den Acker, die ersten genmanipulierten Kartoffeln in Deutschland. Rund 100 Mitarbeiter der Kleinwanzlebener Saatzucht (KWS) aus Einbeck und des Berliner Instituts für Genbiologische Forschung (IGF) rückten am frühen Samstagmorgen gegen die 40 BesetzerInnen an, die seit Anfang April auf dem Freisetzungsgelände campieren.

Handgreiflich sorgten die BiologInnen und ihre Arbeiter dafür, daß der Gentechnik in Deutschland zu ihrem Recht verholfen wird. Mit Sprüchen, wie „nehmt den Spaten und macht sie platt“ oder „Ihr gehört in die Gaskammern“ stürzten sich Mitarbeiter der KWS auf BesetzerInnen, die über den Maschendrahtzaun klettern wollten und prügelten auf sie ein. Selbst Reinhard Nehls, Geschäftsführer der KWS-Tochter Planta, schritt nach Augenzeugenberichten zur Tat und zerrte an einem Besetzer herum.

Noch am Freitag hatte sich KWS-Sprecherin Helga Umbach gegenüber der taz moderat geäußert: „Wir wollen hier keine knallharten Mittel anwenden. Das sind doch alles liebe und nette Menschen, die wir nicht mit der Staatsgewalt abräumen lassen. Wir wollen sie davon überzeugen, daß es bei den Versuchen keine Gefahren gibt.“ Diese Dialogschiene ist mit der Selbsthilfeaktion der Betreiber am Samstag, die tatsächlich ganz ohne Staatsgewalt auskam, erst einmal beendet. Die BesetzerInnen von der „Mahnwache gegen Genwahn“ kündigten an, ihr Camp am Montag aufzulösen.

Bis zum 22. April waren in Deutschland noch nie Nutzpflanzen freigesetzt worden; das Kölner Max-Planck-Institut hatte bisher lediglich zwei gentechnische Freilandexperimente mit Petunien durchgeführt. Vor zweieinhalb Wochen brachte die KWS Zuckerrüben auf den Acker bei Stöckheim in Südniedersachsen. Ein weiteres Versuchsfeld liegt im bayerischen Wallerfing. Den Rüben wurde eine Resistenz gegen die im intensiven Anbau verbreitete Viruserkrankung Wurzelbärtigkeit (Rsizomania) und das Hoechst-Pestizid Basta eingeschleust. Das vier Hektar große Versuchsgelände teilt sich die KWS mit den Berliner Genforschern aus dem IGF, deren Gen-Kartoffeln der Sorte Desirée allerdings nicht zum Essen bestimmt sind. Bei einem Teil der Erdäpfel wurde an der Stärkezusammensetzung manipuliert, was für die Textilindustrie interessant ist (Amylopektin); die zweite Gruppe bildet größere Knollen als normale Pflanzen.

Die vom BUND, dem Göttinger Arbeitskreis gegen Gentechnologie, dem Gen-ethischen Netzwerk und von Greenpeace unterstützten BesetzerInnen haben sich beileibe nicht mit kleinen Firmen angelegt. Die KWS ist das weltgrößte Saatgutunternehmen. Auch der Chemieriese Hoechst ist daran zu 12 Prozent beteiligt. Das Berliner IGF ist eine 50prozentige Tochter der Schering AG. Die andere Hälfte hält der Berliner Senat. Die KWS und IGF haben sich vorgenommen, mit ihrer konzertierten Aktion gentechnische Freilandexperimente auch in der Bundesrepublik hoffähig zu machen. „In anderen Ländern wird auch freigesetzt. Deutschland ist schließlich keine Insel“, sagt Helga Umbach von der KWS. Tatsächlich erhöhte sich die Anzahl der in den OECD-Staaten registrierten Freilandversuche mit transgenen Kulturpflanzen rasant, seit 1986 die ersten derartigen Pflanzen ins Freie kamen. Weltweit soll es heute über 1.100 Versuche auf rund 1.500 Feldern geben.

Experimentiert wird mit mehr als 40 Pflanzenarten – davon mit 26 außerhalb der Gewächshäuser. Kartoffeln, Mais, Tabak, Tomaten, Sonnenblumen, Baumwolle, Chrysanthemen und sogar Pappeln werden gentechnisch aufgerüstet. Versprochen werden Toleranzen gegen Agrochemikalien, Trockenheit, Insekten oder Pflanzenkrankheiten, neue Inhaltsstoffe, Formen und Farben. Spitzenreiter bei den Freisetzungen transgener Pflanzen sind die USA (493), gefolgt von Kanada (302), Frankreich (117) und Belgien (87). Kein Wunder also, daß deutsche GentechnikerInnen, die sie finanzierende Industrie und viele PolitikerInnen mit gerade einmal zwei Versuchen unzufrieden sind. Auch Gesundheitsminister Horst Seehofer sieht in Freilandversuchen keine neuen Gefahren für Mensch und Umwelt. Der Frankfurter Rundschau sagte er, sieseien „nichts anderes als erweiterte Laborversuche“.

Daß die Argumente der Freisetzer häufig irrational sind, führte IGF-Leiter Lothar Willmitzer schon im Februar auf der Anhörung zu seinen Gen-Kartoffeln vor. Für einige Heiterkeit sorgte er mit einem Appell ans Umweltgewissen der EinwenderInen: Er sei doch sehr erstaunt, so Willmitzer, daß „angesichts der vielen Tankerunfälle in der Vergangenheit“ der ökologische Nutzen seiner Kartoffel-„Option“ nicht gesehen werde. Schließlich böten sie doch als nachwachsender Rohstoff eine Energie-Alternative. Insgesamt aber versuchten KWS und IGF bis zum Samstag, ihre GegnerInnen nicht zu brüskieren: von der knallharten Werbekampagne des Verbandes der Chemieindustrie, der ganzseitige Anzeigen zur „Initiative Pro-Gentechnik“ veröffentlichte, sieht man sich meilenweit entfernt.

Doch Dialog hin, Gewaltfreiheit her, für Umbach war schon vor dem Sturm auf das Feld klar, wie weit die Annäherung gehen kann: „Wir verhandeln mit den Besetzern darüber, auf welche Teile des Versuchs wir verzichten können. Abbrechen werden wir den Versuch nicht.“

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