: Neben der Spur
■ Guy Joosten inszeniert „Othello“ am Thalia-Theater
Thalia ist gut zu Ausländern. Sie veranstaltet ein großes Benefizfest mit Stars aus aller Welt, auf dem sie 140.000 Mark für die Kinder aus Bosnien und Somalia einnimmt, sammelt nach den Vorstellungen unter dem Publikum für Notunterkünfte von Asylbewerbern und tritt auch mit Lesungen und Talkshowäußerungen für „das Fremde“ hervor. Natürlich glänzt dabei in ihren Augen auch etwas Eitelkeit, aber das gehört eben seit jeher dazu, zur göttlichen Gnade. Nur in ihrem Bauch, genauer: dort auf der Bühne, wo die „Blühende“ den Gedanken öffentlich verdaut und wo sie ihren eigentlichen Lebenspunkt hat, dort begegnen einem dann doch sehr merkwürdige Vorstellungen über das Fremde.
Da steht ein Mohr, wie vom Ärmel der Welt, der scheinbar genauso schnell denkt, wie er spricht und der außer albernem Gekicher und leicht entregelbaren Gefühlen kein Maß der Menschlichkeit besitzt. Shakespeares Othello, der schwarze Feldherr des Dogen, der den „Erbfeind“ des Venizianers, den Türken, liquidieren möchte, und die eiserne Jungfrau des Rassismus und des politischen Ränkespiels, die sich um ihn legt, weil er sich so nach dem Vertrauen des Weißen sehnt, erhält von Sven- Erik Bechtholf die Wesensmerkmale amerikanischer Comedy- Helden. Mäßig überzeichnete Stereotypen im Reim mit Slapstick und einem gurgelnden „R“ verwandeln die politische Figur des geblendeten Söldners in einen Hanswurst in Mad-Max-Garderobe. Auf der Suche nach Lachern entpuppt sich dieser Othello, der ein großen Teil seiner Auftrittszeit damit verbringt, mit abstehenden Armen ein meckerndes „Hehe“ von sich zu geben, als das Klischee des kolonialen Negers, dessen Kraft auch seine Fessel ist und zu dessen Vollständigkeit Intelligenz nicht vonnöten ist.
Doch ist das keineswegs ein Ausrutscher, es ist Konzept, oder sollte man ehrlicherweise sagen: Notlösung. Denn Guy Joosten, Oberspielleiter am Thalia-Theater, fehlte ganz offensichtlich jedes Anliegen für diesen Stoff, und so ließ er das junge Ensemble spielen, was es vermeintlich am besten kann: Klamauk. Insbesondere das Duo Stefan Kurt (als Jago) und Sven-Erik Bechtolf hat schon in anderen Inszenierungen des Hauses seine Fähigkeit bewiesen, sich die Sympathien des Publikums mit Stegreif-Charme zu ergaunern. Doch hier, wo Stellungnahme, zumindest jedoch kritisches Gespür für Parallelitäten verlangt wäre, verweigert sich dieses Konzept seiner Schlüssigkeit. Nur in den wenigsten Momenten und auch nur bezogen auf die Person des Jago, gelingt es Joosten, den gesellschaftlichen Hallraum für dessen intrigantes Handeln zu aktivieren. Der politische Wellenschlag des rasenden Eigennutzes und des sympathischen Stutzerhasses des Fähnrichs Jago erfährt aber über die lange Distanz doch wieder nur die Beschneidung auf Komödien- Format. Doch selbst die Vektoren Spaß und Spannung streben im Verlauf des Stückes immer weiter auseinander und führen spätestens nach dem vierten Akt zu Ermüdungsbrüchen.
Joostens Angst vor der Argumentation, seine Scheu, die politische Kerngewalt des Stoffes mit seiner Personenführung zu diskutieren, indem er ihr eine geschichtliche Dimension gibt, läßt einige seiner Darsteller geradezu peinlich absaufen. Annette Paulmann in der undankbaren Rolle der Desdemona gleicht einer Hella von Sinnen von den Schulhöfen, und Charlotte Schwab als ihre Zofe Emilia reizt eigentlich nur den Geruchssinn. Sie raucht den ganzen Abend. Nur einer erzählt wirklich seine Geschichte. Hans Kremer als das eigentliche Ziel der Jagoschen Intrige Cassio. Sein Werdegang vom naiven Speichellecker über den unverstanden Gestrauchelten zum letzten Sieger, der nicht mehr lachen kann, vollzieht sich ohne viel Worte glaubhaft und eindringlich, allerdings in dieser Inszenierung auch wie neben der Spur geführt.
Vielleicht wollte uns Joosten ja mit seinem Othello die Küßchen- Küßchen-Gesellschaft des endzwanzigsten Jahrhunderts zergliedern. Das poppige Edel-Kneipen- Design der sich drehenden Bühne von Hartmut Meyer mag davon ebenso Rede ablegen wie die rauchende „Frau von heute“ und der plaudernde, dezent-vulgäre Ton, den die Übersetzung von Horst Laube vorlegt und die Joostens sechs Hauptdarsteller mit zeitgenössischer Leichtigkeit technifizieren.
Doch wenn ihn weder die politische noch die philosophische, noch die libidinöse Dynamik an Shakespeare wirklich interessiert, warum inszeniert Joosten dann nicht Botho Strauß? Till Briegleb
William Shakespeare: „Othello“. Deutsch von Horst Laube. Regie: Guy Joosten; Bühne: Hartmut Meyer, Kostüme: Florence von Gerkan. Mit: Sven-Erik Bechtolf, Sona Cervena, Hans Kremer, Hubert Kornlachner, Stefan Kurt, Stephan Lohse, Annette Paulmann, Charlotte Schwab
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