piwik no script img

Für die Streikposten eine Runde Waffeleis

■ Bei der Belegschaft der AEG Starkstromanlagenbau in Dresden ist die Motivation nach wie vor ungebrochen, aber der Ausstand geht den Streikenden materiell an die Substanz

„Nun möchten sie sich wirklich bald einigen“, sinniert Jutta Gerber, Elektromonteurin bei AEG Starkstromanlagenbau in Dresden. Den zehnten Tag schon ist das Werkstor geschlossen. Die Frauen in dieser morgendlichen Runde haben alle bereits ihren Streikposten gestanden. Von Aufgeben und Resignation könne gar keine Rede sein, geben sie zu verstehen. „Wir haben das nun einmal angefangen, da müssen wir es auch durchstehen“, meint eine Arbeiterin, die mit ihrer kleinen Tochter zum Streiklokal gekommen ist. „Du machst wohl heute einen Wandertag?“ scherzen die Frauen.

Der zehnte Streiktag ist ein besonderer. Heute geht es zur Demo in die Innenstadt, und mit den MetallerInnen werden auch andere Gewerkschafter auf die Straße gehen. Betriebsrat Werner Fahrack teilt Hoffnung aus: „Morgen kriegen wir sie“, die sächsischen Metallunternehmer, „20 Prozent für dieses Jahr, rückwirkend ab 1. April, das ist morgen zu schaffen. Und wenn nicht, dann sollen die Herren vom VSME ihren Hut nehmen.“ (VSME: Verband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie; d. Red.) Die Männer in der Runde sind skeptisch. „Das haben wir vergangene Woche auch schon mal gedacht, daß wir nach den Verhandlungen Schluß machen können mit dem Streik“, erinnert sich einer.

Vor dem Streiklokal kennt jeder jeden. Elektromonteur Falk Mehner ist stolz auf seine KollegInnen. „Wir wissen, was wir wollen. Und deshalb resigniert niemand.“ Einen Tag nach Streikbeginn hätte die Geschäftsführung noch gehofft, „daß ein paar Leute arbeiten kommen. Nur ein einziger Arbeiter, der ist aber nicht in der Gewerkschaft, sagte, er kann es sich nicht leisten, zu streiken. Das muß der mit sich selber ausmachen, wenn er jeden Morgen von den Kollegen, na ja, sagen wir mal, begrüßt wird.“

Was er von den bevorstehenden Verhandlungen erwartet, sagt der junge Kollege ohne Umschweife: „Es soll soviel wie möglich Geld rüberwachsen.“ Der Weg zu 100 Prozent Westtarif werde gestreckt, „das sehen wir nun alle ein“, faßt er die Position der Streikenden zusammen. „Aber es muß einen Stufenplan geben. Damit ein Ende absehbar ist. Wir wollen nicht nach der Jahrtausendwende immer noch mit 10 oder 15 Prozent hinterherhinken.“

Die AEGler wollen am Wert ihrer Arbeit nicht herumdeuteln lassen. „Wir hätten Anspruch auf 100 Prozent, sofort“, meint Betriebsrat Fahrack. „Hier werden nämlich keine Tüten geklebt. Nein, hochintelligente Arbeit wird geleistet. Deshalb hat sich doch die AEG für uns interessiert.“ In den vergangenen zwei Jahren seien 16 Millionen Mark investiert worden. Auch während des Streiks werde durch Baufirmen im Werk gearbeitet. Niemand wolle der Firma des Wasser abgraben. „Bei diesem Streik geht es um unsere Würde“, begründet er die ungebrochene Motivation in der Belegschaft. „Materiell zehrt es an der Substanz. Aber für uns ist das eine Frage unserer Identität. Ob wir als Ostdeutsche Menschen erster oder zweiter Klasse sind.“

Was der Streik kostet, weiß hier jeder. „Pro Woche eine Million büßen wir ein“, kommentiert Falk Mehner trocken die Lage der Firma. Eilige Aufträge seien noch vor Streikbeginn erledigt worden, „damit nicht alles zusammenbricht und nicht etwa Vertragsstrafen kommen, die höher sind als der Erlös“. Inzwischen interessiert die Streikenden vielmehr, wieviel sie selbst noch einbüßen müssen. Besonders hart trifft es jene 25 Kollegen, die nicht in der Gewerkschaft organisiert sind. Doch das sei kein Anlaß für Spannungen. „Es gibt sogar welche, die kriegen keinen Pfennig, weil sie nicht in der Gewerkschaft sind. Die haben sich trotzdem mit uns als Streikposten hingestellt, erklärt Streikleiter Gerhard Müller anerkennend.

Symbolische Unterstützung für die Nichtorganisierten

In den Betriebsbereichen, die nicht in den Streik einbezogen sind, geht dieser Tage die Spendenbüchse um. Vom Erlös soll den Nichtorganisierten „eine gewisse Unterstützung, eine symbolische Spende überreicht werden“. Es verstehe sich von selbst, daß man bei dieser Gelegenheit gleich noch ein zwangloses Gespräch über die Mitgliedschaft in der IG Metall führen werde.

Das Streiklokal vor dem AEG- Tor ist in Dresden inzwischen eine öffentliche Adresse. „Da kam einer vorbei, sagte, er will uns irgendwie unterstützen, und brachte eine Runde Waffeleis mit“, erzählen die Streikposten. Abends gab es auch schon mal eine Flasche Bier. Die Belegschaft einer benachbarten Firma sammelte 1.000 Mark für die Streikkasse. Gestern kamen 20 Schauspieler vom Dresdner Staatsschauspiel zum Werkstor. Vor einigen Tagen erst hatten sie zu Beginn der „Dreigroschenoper“ mit einem zwanzigminütigen Warnstreik auf ihre Tariflage aufmerksam gemacht. „Bei denen geht es nun auch los“, ahnten die Metaller gleich und geizten nicht mit freundlichen Hinweisen: „Wir brauchten auch mehrere Warnstreiks. Ein Durchbruch bei Tarifverhandlungen, das geht nicht von heute auf morgen.“

„Mit Öffnungsklauseln passiert nichts“, gibt Schlosser Uwe Sauer seine Position zum besten. „Das wird immer Knackpunkt bleiben, und dort müssen sie zurückstecken, eindeutig“, betont er an die Adresse der Unternehmer. „Wir wollen etwas Festgeschriebenes.“

Die ganz privaten Kosten dieses Streiks sind dagegen für die meisten kein Thema. „Es hat sich jeder darauf eingestellt.“ 300 bis 400 Mark Einbuße im Monat, das sei eben der Preis. Aber unterm Strich würde sich der Ausstand für ihn lohnen, wenn er ein ordentliches Ergebnis bringt. Wie auch andere Kollegen markiert Uwe Sauer seine Schmerzgrenze bei 20 Prozent. „Es geht ja eindeutig um das Tarifprinzip. Heute früh waren Kollegen von der Reichsbahn hier. Bei denen geht es nun wohl auch an die Tarifverträge. Wenn es bei uns klappt, machen die Arbeitgeber das überall.“ Detlef Krell, Dresden

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen