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Tête-à-tête mit Täter

■ Gebrochene Herzen und gestorbene Seelen: Zu einer Lesung mit Hermann Kant im Haus am Köllnischen Park

Walter Serner, 1920: „Roman und so: die Herren reden wie am Spieß oder neuerdings überhaupt nicht mehr. Noch ein wenig Schweiß und die Sache glückt: Belletristik! (Am Spieß befindet man sich gar oft...)“

Am Spieß oder als Spitzel im Aktenordner der Gauck-Behörde – das kann doch 1993 einen Hermann nicht erschüttern. Jetzt hat er wieder zugeschlagen – diesmal nicht mehr mit Ausschlußverfahren aus seinem hauseigenen DDR- Schriftstellerverband, sondern mit einem neuen Manuskript. Ist es Belletristik geworden? Die autobiographisch angelegte Titelgestalt heißt Dr. Martin Komoran; vielleicht eine ungewollt pikante Mischung aus dem „vertrockneten Leguansgesicht des Verbandsvorsitzenden“ (Bernd Wagner) und dem janusköpfigen MfS – „IM Martin“.

Was Kant schließlich zum Vortrag brachte, war einmal mehr eine geschwätzige Suada, in der sich die charakterliche Deformation des Autors bis in die Syntax zog. Viel Wortgeplänkel und verschachtelte Nebensätze, kleine Witzeleien, um das große Schweigen redselig zu kaschieren. Die Zuhörer (meist gealterte ND-LeserInnen) wußten es zu würdigen – neue Wortschöpfungen wie die von der „Freiheitlich- demokratischen Grundstücksordnung“ oder Stoßseufzer über „gebrochene Herzen und gestorbene Seelen“ wurden dankbar aufgenommen. Beifälliges Grunzen auch über Kants in der nachfolgenden Diskussion geäußerten Satz, daß er sich gern einen Hut kaufen würde, um ihn vor Günter Gaus zu ziehen.

Überhaupt erinnerte vieles an alte Hüte, Überraschendes wurde nicht geboten. Das lag vielleicht auch am Veranstaltungsort, dem Haus am Köllnischen Park, das mit seinen Sprelacarttischen und seinen Gästen heftigst den spröden Charme der fünfziger Jahre versprühte.

Entsprechend auch die Fragen aus dem Publikum; wenn die deutsche Kulturnation zum Sprechen anhebt, hört sich das so an: „Herr Kant?“ „Ja?“ „Herr Kant, darf ich... darf ich jetzt mal eine provokative Frage stellen: Als Präsident haben Sie ja immer wieder anderen Schriftstellern geholfen, auch solchen, von denen wir (sic!) jetzt wissen, sie waren es gar nicht wert. Sind Sie nun enttäuscht, und haben Sie auch noch Kontakt mit gutwilligen Kollegen?“ Räusper, räusper: Nun, Undank ist der Welten Lohn, man selbst habe sich ja auch manches (??) vorzuwerfen, aber die Lage sei unverdient hart für Literaten... Und dann folgt ein Schwätzchen über diesen und jenen Autoren, wie es ihm gehe, was er gerade arbeite, etc. Vom scharfmacherischen Parteiknecht und Stasi-Spitzel zum Quasselonkel, der immer tolle Geschichten kennt? Man bekommt feuchte Augen bei soviel Liebenswürdigkeit. Marko Martin

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