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Kriegserklärung an eine Kulturlandschaft

■ Potsdam droht sein Erbe zu verspielen: Am Glienicker Horn sollen neue Bauten die historischen Sichtachsen verstellen

Berlin/Potsdam. Der feierliche Konsens zwischen Kultur und Ökonomie ist in Potsdam von einem tiefen Riß gekennzeichnet. Die Ideen der Denkmalpflege und Stadtentwicklung, die sich in der Museumswelt von Sanssouci bislang ergänzten, scheinen einander plötzlich auszuschließen. „Inmitten der Festlichkeiten zur 1000-Jahr-Feier“, erklärte die Publizistin Jutta Kern gegenüber der taz, „hängt der Bebauungsplan des ,Glienicker Horns‘ wie eine Kriegserklärung über der traditionsreichen Kulturlandschaft.“ Das „Gesamtkunstwerk Potsdam“, so Kern, werde an dieser Stelle in seiner „Identität schwer geschädigt“. Die wirtschaftlichen Interessen der Stadt verhinderten den Schutz des Areals.

Anstelle der Instandsetzung ehemaliger Sichtachsen zwischen Glienicke und Potsdam, wie es auf der benachbarten Babelsberger Uferseite geschieht, soll die grüne Halbinsel gleich hinter der Glienicker Brücke mit einer Villenkolonie zubetoniert werden. Für das 27.000 Quadratmeter große Gelände haben die Immobiliengruppe Groth & Graalfs (Berlin) und die Bayerische Hausbau KG (München) einen Bebauungsplan für 250 Eigentumswohnungen „des gehobenen Bedarfs“ eingereicht.

Zusätzlich zu dem Ensemble im IBA-Stil mit Türmchen und Ausgucks sind ein „Schicki-Micki- Jachthafen sowie Bootsstege geplant“, erklärt die Regionalplanerin Angela Michaelis. Die Fläche „greife weit über die Havel hinaus“. Die Umgebung mit den gründerzeitlichen Wohnbauten und den natürlichen Ressourcen würden in ihrem Charakter verändert, so Michaelis.

Liste des Weltkulturerbes ist für die Planer kein Hindernis

Skandalös an dem Bebauungsverfahren, das Potsdams Baustadtrat Kaminski ausdrücklich unterstützt, ist nicht allein, daß das einstige Lennésche Arkadien mit seinen „überraschenden Perspektiven“ auf die Silhouette von Schinkels Nicolai-Kirche verstellt würde. Michaelis: „Die Stadt und die Investoren ignorieren auch, daß das Gelände in die Unesco-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen ist.“ Mögliche Architekturen müßten sich an der Typologie der Berliner Vorstadt orientieren. Auf Widerstand stoßen die Absichten zur Bewahrung des Uferstreifens beim zuständigen Planungsdezernenten Peter von Feldmann. Sowohl der „DDR- Schrott“ auf dem bizarren Brachland als auch „Alternativen zum vorgesehenen Entwurf sind unakzeptabel“.

Selbst Einwände von Schlösser- und-Gärten-Chef Hans-Joachim Giersberg und Brandenburgs Kultusminister Enderlein, der dem Areal „eine hohe Priorität im Denkmalschutz“ einräumt, läßt von Feldmann nicht gelten. Die Denkmalpfleger seinen „von Beginn an“ in den Planungsprozeß miteinbezogen gewesen. Die Bebauung des „Filetstücks“ bedeute eine enorme Aufwertung des Gebiets. Zugleich, so von Feldmann, sei die Planung bereits auf ein Minimum „heruntergequält“ worden. Sichtachsen und Freiflächen würden akzeptiert. Noch 1993 könne der Bebauungsplan verabschiedet werden.

Als „lächerlich“ weist Saskia Hünecke, Potsdamer Stadtverordnete vom Bündnis 90, die Ansichten des Planungsdezernenten zurück. Weder bedeute die Bebauung einen zusätzlichen finanziellen Gewinn für die Stadt, noch könne von einer Reduzierung der Baumassen die Rede sein. Eine „zusätzliche Bebauung lehnt meine Fraktion nicht ab“, erläutert die Bündnis-90-Stadtverordnete. Lediglich die „größte Dichte“ in der Berliner Vorstadt und die Veränderungen im sozialen Gefüge bereiteten ihr Sorgen.

Außerdem wies die Abgeordnete darauf hin, daß bei der Beschlußfassung zum Bebauungsplan „Formfehler“ bei der Abstimmung vorkamen. Hünecke will mit Hilfe von Giersberg durch eine Normenkontrollklage das Verfahren „zum Kippen“ bringen. Rolf Lautenschläger

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