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Geld aus der Kartoffelkiste

Seit der Einführung der Zinssteuer ist Kapitalflucht zum „Volkssport“ für Anleger avanciert  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Daß sich Boris Becker seine auf den Tennisplätzen der Welt erspielten Tantiemen auf das Konto einer monegassischen Bank überweisen läßt, ist bekannt. Und weil die Monegassen im Paradies von Reiner III. überhaupt keine Steuern zahlen, hat das clevere Bobbele dort auch seinen ersten Wohnsitz: Money makes the world go round. Mick Jagger und andere Rockgrößen flohen vor den beinharten taxmen ihrer Majestät in die Vereinigten Staaten. Und auch die Topmanager und Konzernherren der Bundesrepublik wissen längst, wo sie ihre Milliönchen vor dem Zugriff des amtierenden Bundesfinanzministers Theo Waigel (CSU) in Sicherheit bringen können: in Luxemburg, in Lichtenstein, in Dänemark oder in Österreich. „Kapitalflucht“ heißt das böse Wort bei den Bundesbankern in Frankfurt am Main. „Clever anlegen“ bei all denen, die – besonders nach der Einführung der Waigelschen Zinssteuer – ihr Vermögen hüten und zu günstigsten Konditionen für sich arbeiten lassen wollen. Schließlich werden die Zinsen in den Anlageparadiesen brutto für netto ausgeschüttet. Die Zinssteuer – ein Rohrkrepierer. Und Waigels Theo hätte gut daran getan, der Empfehlung des Satiremagazins Titanic zu folgen und die „Augenbrauensteuer“ einzuführen. Im Staatssäckel wäre dann vielleicht mehr Geld für den Aufbau Ost hängengeblieben. Denn auch Witwe Gerda K. aus Offenbach weiß inzwischen, wie sie ihre 100.000 DM auf diversen Banken dem Zugriff der Steuereintreiber entziehen kann: 20.000 DM werden derTochter geschenkt, für 10.000 DM macht Gerda K. eine Weltreise – und noch mal 20.000 DM werden „kapitalfluchtartig“ unter der Kartoffelkiste im Keller gebunkert. So bleibt Gerda K. unter der Grenze von 60.000 DM, ab der Waigels willfährige „Steuerfahnder“ in den Banken aktiv werden und die „Zinssteuer“ automatisch an die Finanzämter abführen.

Die „Kartoffelkisten“ der Großverdiener, in denen das Geld auch noch „keimt“, stehen dagegen vorwiegend im kleinen Großherzogtum Luxemburg.

Offen haben die Luxemburger schon vor der Einführung der Zinssteuer in allen führenden Wirtschaftsmagazinen für ihre Anlagefonds und für ihre Sparkonten mit Spitzenzinssätzen geworben. Die Message: „Bringen Sie Ihr sauer verdientes Geld in Sicherheit“.

Daß selbst die kleine Ökobank in Frankfurt am Main ihre Umwelt- und Ethikfonds demnächst via Luxemburg starten wird, hat allerdings andere Gründe. Weil die bundesdeutsche Bankenaufsicht aus Wettbewerbsgründen „grüne“ Fonds nicht anerkennen will, weil dann im Umkehrschluß alle anderen Fonds als schwarze Schafe gebrandmarkt würden, ziehen auch die Alternativbanker ins kleine Nachbarländchen.

Auch die Alpenrepublik Österreich ist inzwischen als „Geheimtip“ für Kapitalflüchtlinge en vogue. Hinter den sieben Bergen türmen sich auf den Konten der österreichischen Banken inzwischen die Milliarden, von denen sich Waigel gerne einen Bruchteil unter den Nagel gerissen hätte. Und Österreich ist so nah wie Luxemburg: Die Daimler der S-Klasse werden an den Grenzen ohnehin nicht kontrolliert. Und deshalb ersetzt der Geldkoffer zunehmend das Überweisungsformular: Was die Hausbank nicht weiß, macht sie nicht heiß.

Ohnehin sind die deutschen Banken längst mit im Geschäft. Kaum ein renommiertes Institut, das seinen Kunden nicht den Einstieg in einen Aktien- oder Immobilienfonds schmackhaft macht – alles anlegerfreundlich vor allem via Luxemburg am Markt etabliert. Die Investmentfonds boomen. Und vom gesamten Mittelzufluß in Fonds entfielen bereits 1992 exakt 76,6 Prozent auf die in Luxemburg ansässigen Fonds deutscher Anbieter. Das entspricht einem Anteil von 66 Milliarden DM. Und im ersten Quartal des laufenden Anlagejahres wurden schon weitere 24,3 Milliarden DM gezeichnet, wie der Sprecher des Bundesverbandes Deutscher Investmentgesellschaften (BDI), Manfred Mathes, in der vergangenen Woche nicht ohne Stolz mitteilte. Die Branche peilt für 1993 die 100-Milliarden-DM-Grenze an. Und damit würde alleine via Luxemburg ein Anlagevermögen in der Größenordnung von knapp einem Viertel des gesamten Haushaltes der Bundesrepublik Deutschland dem Zugriff der Zinssteuereintreiber entzogen. Insgesamt, so Finanzkommunikatoren in Frankfurt, seien seit der Ankündigung der Zinsabschlagsteuer dreistellige Milliardenbeträge in das Großherzogtum geflossen. Ein Blick in das geschmähte Werk jenes Mannes, der vor genau 175 Jahren gleich um die Ecke – in Trier – geboren wurde, hätte Waigel allerdings schon im Vorfeld die Augen geöffnet. „Kapital ist international“, wußte Marx.

Dem Finanzminister, der sich bislang gegen eine EG-einheitliche Zinsbesteuerungspolitik ausgesprochen hatte, reicht es jetzt. Auf Drängen Waigels steht das Thema „gemeinsame Besteuerung der Zinserträge“ auf der Tagesordnung des EG-Ministerrates Ende Mai in Dänemark. Und weil auch die Belgier ihr Geld kofferweise nach Luxemburg schaffen, will Premierminister Dehaene die Zinsbesteuerung zum Topthema der kommenden belgischen EG- Präsidentschaft küren. Wie eine einheitliche Regelung aussehen könnte, hat EG-Kommissarin Christiane Scrivener bereits offengelegt: 10 Prozent Quellensteuer für alle. Doch wie sagte Marx? „Kapital ist international.“ In außereuropäischen Ländern reibt man sich schon die Hände – in Erwartung der Milliarden aus den dann unter gemeinsamer Zinsknechtschaft stehenden Ländern der Europäischen Gemeinschaft.

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