piwik no script img

Sachsen-Modell zerreißt die örtliche IG Metall

■ Metaller-Basis in Berlin lehnt den sächsischen Streik-Kompromiß ab

Berlin/Potsdam. In der IG Metall Ostberlin/Brandenburg brodelt es. „Emotionell aufgeladen“ nannte ein Metaller, was sich am späten Samstag abend in der Sitzung der Großen Tarifkommission im fünften Stock der Kreuzberger Gewerkschaftszentrale abspielte. Bezirksleiter Horst Wagner, sonst immer für eine kämpferische Bemerkung gut, verschlug es am Ende sichtlich die Sprache. Die 120 Delegierten hatten, entgegen aller Erwartung, den Weg zur Übernahme des sächsischen Metall-Tarifmodells nicht freigegeben.

Daß es schwer werden würde, den vom Frankfurter Vorstand ausgegebenen Kurs umzusetzen, hatte der frühere Arbeitssenator geahnt. Schon kurz nach Beginn der Gespräche mit dem Arbeitgeberverband ließ er verlauten, er wolle nach dieser Runde keine Erklärung abgeben und zunächst das Votum der Tarifkommission abwarten. Dort war man klar auf Streik gestimmt. Nach einer kräftezehrenden und von Zweifeln durchsetzten Mobilisierungskampagne sollte es an diesem Montag losgehen. Der Aussetzungsbeschluß des IG-Metall-Vorstandes aus Frankfurt wirkte wie eine kalte Dusche. Die Stahlarbeiter in Berlin-Brandenburg verfolgen nach den Worten Wagners ein anderes Streikziel, als es der sächsische Kompromiß vorsieht. Gefordert werde die Erhöhung auf 80 Prozent des Westniveaus bereits in diesem Frühjahr.

Vor diesem Hintergrund war der in Dresden angenommene Tarifkompromiß über die Verlängerung des Stufenplans, der zudem schlechter ausgefallen war als der erste von Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) unterbreitete Vorschlag, schwer auf Anhieb zu vermitteln. Dies gilt um so mehr, als im angrenzenden Westberlin Westlöhne verdient werden und die sozialen Spannungen auch die Gewerkschaft schütteln.

Die Wogen gingen hoch. Wäre ein Abschluß mit 80 Prozent Westlohn von Dezember dieses Jahres an und dem vollen westdeutschen Tarifniveau von Juli 1996 an nicht schon in den Revisionsgesprächen zu erreichen gewesen? Oder in der Schlichtung?

„Es dauert ein bißchen, es muß sich entwickeln“, hatte ein Vertreter der Arbeitgeber am Nachmittag verständnisvoll die gerade erfolgte Vertagung kommentiert. Er dürfte recht behalten. Daß die unruhige, vielerorts von Arbeitslosigkeit bedrohte Basis sich durchsetzt, ist angesichts der Machtfülle der Gewerkschaftsspitze nicht zu erwarten. „Die Fakten, die in Sachsen geschaffen worden sind, kann keiner mehr aus der Welt schaffen“, brachte es Hartmann Kleiner, Hauptgeschäftsführer des regionalen Arbeitgeberverbandes, auf den Punkt. dpa

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen