: Merkwürdige Auffassungen
Vergangenheitsbewältigung: Mit Uwe Westphal, Sekretär des Londoner Exil-PEN, sprach ■ Ralf Sotscheck
taz: Das Londoner PEN-Zentrum hat seine Teilnahme an der Jahreshauptversammlung des westdeutschen PEN, die am vergangenen Wochenende in Darmstadt stattfand, abgesagt. Warum?
Uwe Westphal: Wir haben im März erfahren, daß das PEN-Zentrum in Darmstadt eine Veranstaltung mit dem Titel „Aber ich ging über die Grenze“ plante. Wir glauben, daß es angebracht gewesen wäre, zu dieser Veranstaltung zum 60. Jahrestag der Bücherverbrennung diejenigen einzuladen, die 1933 aus Deutschland vertrieben oder deren Bücher verbrannt wurden. Viele dieser Autoren sind Mitglieder im Londoner Zentrum gewesen – oder sind es heute noch: Wir haben etwa 40 Mitglieder, die nach 1933 aus Deutschland weggegangen sind oder weggehen mußten. Viele davon leben in den USA, einige in Frankreich, und eine ganze Reihe auch in London. Ist es einfach fehlende Sensibilität? Wir alle wissen doch, daß man sich in fünf bis zehn Jahren über dieses Thema in der heutigen Form nicht mehr unterhalten muß. Diese Frage wird biologisch gelöst werden. Warum nutzt man heute nicht die allerletzte Chance? Hans Sahl hat dies schon immer eingeklagt. Wer heute diese Leute – bewußt oder unbewußt – außen vor läßt, hat eine merkwürdige Auffassung von Vergangenheitsbewältigung. Das ist der Hauptgrund, warum wir unsere Teilnahme an der Jahresversammlung in Darmstadt abgesagt haben.
Der westdeutsche PEN hat die Kritik zurückgewiesen und erklärt, daß die Einladung zur Jahresversammlung gleichzeitig auch für die Veranstaltung zum Thema Bücherverbrennung galt.
Das war uns völlig neu und ist auch so niemals ausgesprochen worden. Aus der Einladung für die Jahreshauptversammlung, die das Darmstädter Zentrum Mitte März verschickt hat, konnte man keinesfalls entnehmen, daß wir ein integraler Bestandteil dieser Veranstaltung zur Bücherverbrennung und zur Emigration sein sollten. Das ist auch nirgendwo so angekündigt gewesen.
Der Präsident des westdeutschen PEN, Gert Heidenreich, hat sich am Freitag offiziell beim „Exil-PEN“ entschuldigt. Sind damit die Unstimmigkeiten ausgeräumt?
Ich wünschte, die Besinnung wäre sechs Wochen früher erfolgt, dann wäre die ganze Debatte vielleicht anders gelaufen. Unklar ist mir noch immer der Hintergrund des Verhaltens in Darmstadt. Gert Heidenreich sagte im SFB, er habe sich dem Thema Exil, Exilliteratur und den Exilanten so nahe gefühlt, daß er dann letztlich doch vergessen habe, das Notwendige zu tun. Ich verstehe diese Argumentation nicht. Wenn man die Schuld für seine Fehler dem Objekt seiner Zuneigung in die Schuhe schiebt, und das hat der PEN in Darmstadt ja zuerst versucht, dann weiß ich nicht, was demnächst noch alles kommt. Wie dem auch sei: Wir müssen nun versuchen, neue Gespräche in Gang zu bringen.
Spielt in der aktuellen Auseinandersetzung das Zerwürfnis zwischen dem Londoner Zentrum und dem ostdeutschen PEN eine Rolle?
Das spielt nur eine untergeordnete Rolle. Wir hatten in unserem Brief vom 14. April an den westdeutschen PEN die Vermutung ausgedrückt, daß beim ostdeutschen PEN gegenüber unserem Londoner Zentrum offenbar Animositäten bestehen. Wir haben nämlich 1991 an zwei Treffen des Koordinierungsausschusses der beiden deutschen PEN-Zentren teilgenommen. In diesen Ausschuß sollten wir eigentlich unsere Erfahrungen einbringen, die ja auch schon 1948 gebraucht wurden, als der Sekretär des Londoner Zentrums, Friedmann, das deutsche Zentrum nach dem Krieg neu gründete. Wir hatten dann den Eindruck, daß wir von den weiteren Treffen zwischen Ost-PEN und West-PEN auf kaltem Wege ausgeschlossen worden sind. Das finden wir ärgerlich und unnötig.
Der Vorstand des West-PEN wies das in einer Erklärung vom vergangenen Dienstag zurück.
Das Darmstädter Zentrum sagt, es sei niemals intendiert gewesen, das Londoner Zentrum von den Verhandlungen, die im Oktober 1992 und im Januar 1993 stattgefunden haben, auszuschließen. Das ist hanebüchen, denn schließlich haben diese Verhandlungen ja stattgefunden, und wir waren dazu nicht eingeladen. Wir hätten gerne den Grund dafür gewußt. Ist es Gedankenlosigkeit, Dummheit oder Arroganz?
Was, glauben Sie, ist der Hintergrund?
Viele unserer Mitglieder fühlten sich politisch traditionell der Linken zugehörig. Für manche hat sich das schon während der Emigration verändert. Einige hatten anfangs große Hoffnungen in die DDR gesetzt. 1989 brachen dann aber tiefe Kluften auf, weil für viele ein Projekt, eine Idee gescheitert war. Insofern spielt die Erfahrung der älteren Mitglieder, die sie mit dem Nationalsozialismus und dem Sozialismus gemacht hatten, in der gegenwärtigen Auseinandersetzung eine wichtige Rolle. Das muß man heute wissen und berücksichtigen. Ruhestörung kann von unserer Seite aus ein belebendes Element in der Debatte sein. Grundsätzlich ist es schade, daß zwischen dem Ost-PEN und dem Londoner Zentrum eine Nullkommunikation besteht. Das hat vor gut anderthalb Jahren angefangen, aber wir hoffen, daß mit dieser Debatte, die jetzt eingeleitet worden ist, diejenigen Kraäfte gestärkt werden, die in der Sache mehr zu sagen haben.
Sie meinen den ostdeutschen PEN?
Den Ost-PEN, aber auch den West-PEN. Denn im West-PEN ist diese Debatte ja auch nie richtig geführt worden. Wie geht man zum Beispiel damit um, daß Herr Höpcke Mitglied des ostdeutschen PEN-Zentrums ist? Es steht doch fest, daß Höpcke Mitglied der Staatssicherheit war und als Kulturminister für eine ganze Reihe von Denunziationen verantwortlich war – auch von Leuten, die heute Mitglied des West-PEN sind. Wie geht man mit dieser Vergangenheit um? Das ist kein Tabuthema, man muß darüber reden. Was wir ganz schrecklich finden, ist dieses Nichtreden.
Verschiedene Presseberichte haben den Eindruck erweckt, daß es sich hier um eine Auseinandersetzung zwischen den PEN-Vorständen handelt. Wie haben die Mitglieder darauf reagiert?
Wir haben seit acht Tagen verschiedene Anrufe von PEN-Mitgliedern aus dem Darmstädter Zentrum bekommen. Viele fragten, worum es bei diesen Mißstimmigkeiten überhaupt geht. Wir haben Anfragen von westdeutschen PEN-Mitgliedern bekommen, die gerne Mitglied des PEN-Zentrums in London werden wollen, weil sie sich weder im Ost-PEN, noch im West-PEN nach diesen Ereignissen aufgehoben fühlen und ihre Identität gewahrt sehen wollen. Darunter waren in der deutschen Öffentlichkeit bekannte Dichter und Autoren. Das ist für uns erstaunlich. Einer der Antragsteller sagte, er fühle sich im Ausland hier in Deutschland, also könne er auch gleich bei uns eintreten. Wenn das die Motivation ist, dann ist das schlimm. Ich halte es grundsätzlich für wichtig, daß diese Autoren in Deutschland ihr Zentrum haben. Sie müssen dafür sorgen, daß die Schwierigkeiten, die sie mit dem Darmstädter Vorstand haben, bereinigt werden. Man muß dafür sorgen, daß diese Leute in Deutschland PEN-Mitglied sein können. Es ist doch das Minimum, daß man unter der Charta des Internationalen PEN zusammenarbeiten kann, auch wenn man unterschiedlicher Auffassung ist.
Im vergangenen Jahr hat der „Exil-PEN“ über seine Auflösung diskutiert. Ist das jetzt vom Tisch?
Wir sind in einer ganz schwierigen Situation. Wir haben 140 Mitglieder, die auf drei Kontinenten verstreut sind. Es ist schwer, mit allen Kontakt zu halten. Viele verbindet aufgrund ihrer Geschichte eine alte Freundschaft, die Jüngeren haben aus den unterschiedlichsten Gründen Deutschland verlassen. Zum anderen haben wir ein brennendes Finanzproblem. Wir geben gerade mal drei, maximal vier Mitteilungsblätter im Jahr heraus. Wir klauben darin alles zusammen, was man an Informationen von den Mitgliedern bekommt, und das ist für viele ein wichtiges Bindeglied. Es ist ihnen wichtig, eine Organisation zu haben, die noch etwas zu sagen hat. Als wir im vergangenen Jahr die Debatte darüber geführt haben, ob wir das Londoner Zentrum auflösen sollten, sahen wir eigentlich keine grundsätzlichen und prinzipiellen Probleme, uns in größerem Zusammenhang mit Darmstadt zu assoziieren. Viele unserer Mitglieder lehnten das aber strikt ab und sagten, sie wollten unabhängig bleiben – selbst wenn wir am Schluß nur noch 50 Leute sind und gar kein Geld mehr haben. Andere wollten eher dem PEN-Zentrum der Schweiz, Liechtensteins oder Andorras beitreten, als dem deutschen PEN. Die Stimmung zwischen Darmstadt und London ist zur Zeit aber ohnehin nicht dazu angetan, solch eine Debatte überhaupt zu führen. Insofern ist das auch abgeschlossen.
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