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Gestimmte Zahnbürste

■ Gelungenes Theater: "naast" von Ingrid und Monique Kuijpers

von Inrgid und Monique Kuijpers

Eine Zeitungsmeldung gab den Anstoß: die Notiz von der alten Dame in Tschernobyl, die man zwei Jahre nach dem GAU in Plastiktüten gewickelt in ihrem Bett fand. Sie hatte von der Katastrophe draußen gehört und daraufhin beschloßen, drinnen zu bleiben. Der Einakter naast von Ingrid und Monique Kuijpers erzählt nicht diese Geschichte, aber übernimmt die Idee: Angst vor der Außenwelt und Konstruktion einer abgeschlossenen Innenwelt. Zwei alterslose Damen teilen ein Zimmer und ein Leben – ein Leben allerdings, das auf den ersten Blick keinesfalls so trostlos scheint wie das der Dame aus der Zeitungsvorlage.

Beschwingte Orchestermusik erfüllt den Raum, während zwei tänzelnde, adrette Barbie-Puppen-Verschnitte Zweisamkeit erfinden. Die Welt außerhalb scheint nicht zu existieren, dafür ist in der guten Stube jede Handlung ritualisiert: Der Abwasch wird als Charleston mit Endlosschleife gefeiert, das Tischdeckenglattstreichen wird endlose Minuten lang zelebriert. Die beiden Frauen haben einen Verständigungscode entwickelt, der in seiner Komplexität afrikanische Trommeln in der Nacht erblassen läßt: Wenn die eine in der Abseite den Staub aus den Mänteln klopft, antwortet die andere mit perfekt gestimmter Zahnbürste im Mund. Worte fallen kaum, dafür sprechen Blicke und Rhythmen Bände. Wenn sich die Münder öffnen, dann eher für privates Gemurmel.

Die beiden Schwestern Ingrid und Monique Kuijpers gründeten nach ihrer Psychologie- und Schauspielausbildung in den Niederlanden eine Stiftung namens Stand der Ideen, mit der sie seit Jahren eigene Produktionen herausbringen. Ingrid war mit der erfolgreichen Inszenierung Solo/Duo bereits 1989 zu sehen. Das ebenfalls auf Kampnagel aufgeführte naast stellt einmal mehr die hohe Schule der holländischen Improvisationskunst und Inszenierung unter Beweis, und dies mit einer Konzentration und Intensität, die hierzulande bei freien Gruppen leider selten ist.

Ihre Groteske der Neurosen ist ein gelungener Balanceakt zwischen Ironie und Trostlosigkeit, dessen szenische Phantasie bisweilen umwirft. Etwa wenn die Frauen nach fünfminütigem Lecken am Butterkeks einmündig feststellen, daß er nach Marcel Proust schmeckt oder, ein Höhepunkt des Abends, wenn Monique Ingrids Finger auf den Tisch schnellen läßt und dabei für den ganzen Saal Johann Strauß zu hören ist.

naast („neben“) wurde von Regisseurin Moniek Toebosch als Doppelprojekt mit binnen („innen“) geplant, das im Dezember in Amsterdam aufgeführt werden soll. Die fünfhundert Kilometer nach Hamburg sollten möglichst schnell zurückgelegt werden. Christiane Kühl

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