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Angriff auf die Leser?

■ "Neues Deutschland" soll Millionenbeträge an Treuhand zahlen / Verlag sieht sich als Opfer einer politischen Kampagne

Berlin. Die Treuhandanstalt hat das Neue Deutschland (ND) auf Rückzahlung von zwei Millionen Mark verklagt. Falls die „sozialistische Tageszeitung“ dazu verurteilt würde, wäre voraussichtlich die gesamte, schon einmal erhobene Forderung der Treuhand über 15 Millionen Mark wieder auf dem Tisch. Die Zeitung müßte damit Konkurs anmelden, sagte gestern ND-Geschäftsführer Wolfgang Spickermann.

Der geforderte Betrag stammt aus einer angeblich rechtswidrigen Überweisung der PDS-eigenen Firma Zentrag an das frühere „Zentralorgan“ vom 7. Juni 1990. Eine Woche zuvor hatte die Volkskammer die sofortige Einsetzung einer Kommission beschlossen, die das Vermögen aller alten DDR- Parteien, also auch der PDS, unter treuhänderische Kontrolle nehmen sollte. In Kraft trat die entsprechende Änderung des Parteiengesetzes mit der Veröffentlichung am 12. Juni 1990. Noch später, nämlich mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages, wurde die heutige Treuhandanstalt für die unter Aufsicht gestellten Institutionen zuständig.

Im Sommer 1991 übernahm die Treuhandanstalt unter Hinweis auf die nicht genehmigte Vermögensveränderung das ND in ihre Verwaltung, entließ es jedoch drei Monate später wieder, nachdem ein Sanierungsbedarf von sechs Millionen Mark erkennbar geworden war. Die Treuhand und die für die Parteivermögen zuständige Kommission des Bundesinnenministers hätten damals gehofft, die ihnen mißliebige Zeitung ND werde binnen eines Monats pleite sein, behauptete Geschäftsführer Wolfgang Spickermann gestern.

Inzwischen hätten sie wohl „die letzte Hoffnung aufgegeben, daß wir vom Markt verschwinden“. Da sei die politische Absicht hinter der Klage „unverkennbar“. Die umstrittene Zahlung könne nicht gegen das erst einige Tage später in Kraft getretene Gesetz verstoßen haben und sei im übrigen hauptsächlich für seit Jahren geplante Investitionen bestimmt gewesen.

PDS-Vorsitzender Lothar Bisky wies in einer Presseerklärung darauf hin, daß die Zentrag noch im ersten Halbjahr 1990 fast 100 Millionen Ost-Mark an andere SED- beziehungsweise PDS-eigene Zeitungen gezahlt habe, die bisher nicht mit Rückforderungen konfrontiert worden seien. Sie gehören heute zumeist größeren westdeutschen Verlagen.

Das ND hofft nun auf einen günstigen Prozeßausgang und die Solidarität seiner LeserInnen (von denen übrigens zwei Drittel jünger als 60 Jahre alt sind). Chefredakteur Reiner Oschmann meint immerhin, der „Angriff“ der Treuhand ziele „nicht so sehr auf die Redakteure, sondern auf die LeserInnen“. Matthias Fink

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