Wenn sie geschwiegen hätte ...

... wäre eine Lehrerin um 2500 Mark reicher und eine  ■ Politesse ohne blauen Fleck

Für den Gerichtsreporter von Radio Hamburg war der Fall vorher schon klar: „Wenn eine sture Lehrerin und eine verbissene Politesse aufeinanderstoßen, gibt es Hauerei.“ In der Tat: Ein Disput um „Knöllchen“ in Altona endete im vergangenen Jahr für Polizistin Nicolette S. mit einem blauen Fleck und brachte die Altonaer Lehrerin Theda O. gestern auf die Anklagebank des Amtsgerichts Altona. Richter Herrmann mit mahnendem Unterton: „Wenn Sie beide den Mund gehalten hätten, hätte sich alles in Wohlgefallen aufgelöst.“

Der Vorfall ereignete sich am 16. März '92 um 14.38 Uhr in der Kleinen Rainstraße: Die 40jährige knöllchengebeutelte Theda O. beobachtete, wie die 22jährige Jungpolitesse Nicolette S. gerade Strafzettel verteilte. „Warum schreiben Sie denn die Autos in Altona auf, fahren Sie doch nach Blankenese und verteilen dort ihre Tickets“, rief die blonde gebürtige Ostfriesin der schüchtern wirkenden Polizistin zu. Dabei soll sich Theda O. an den Kopf gefaßt haben, was S. als „Vogel“ wertete. S.: „Ich fühlte mich beleidigt.“ O. bestreitet: „Vogelzeigen ist nicht mein Stil.“ Im „Sturmschritt“, so O., sei Polizistin S. auf sie zugekommen. Theda O.: „Ich fühlte mich bedroht, dachte, die wollte mir ans Leder, bin in mein Auto eingestiegen und habe die Tür verriegelt.“

Doch S. war beharrlich und wollte die Papiere ihrer Widersacherin sehen, die zudem im eingeschränkten Parkverbot stand. Die impulsive Lehrerin dachte sich „die kann mir mal ...“, startete ihren Ford-Fiesta, setzte kurz zurück und fuhr dann aus der Parklücke. Theda O.: „Haltezeichen hab' ich nicht gesehen. Ich bin ganz langsam herausgerollt, hab' nicht gedacht, daß jemand verletzt worden ist. Wenn ich den Eindruck gehabt hätte, hätte ich mit Sicherheit angehalten.“

Doch Nicolette S. hatte am Kotflügel ausgeharrt wie „eine Nahkämpferin“, so eine Zeugin. Erst als sie angefahren worden sei, wäre die Politesse mit einem Satz zur Seite gesprungen. Die 22jährige war danach total geschockt, hatte einen blauen Fleck am Oberschenkel. Nicolette S. gestern unter Tränen: „Die Fahrerin hat mich daraufhin angeguckt, hat sich nochmal an den Kopf gefaßt und ist dann weggefahren.“ Eine Woche klagte die Polizistin über Schmerzen im Bein. O. glaubte, der Vorfall sei erledigt, der Disput sei als „Geplänkel auf der Straße“ abgehakt. Die Lehrerin: „Eine Form von Streitkultur im Alltagsstreß“.

Doch Amtsrichter Herrmann sieht das anders: „Wenn eine Polizistin Ihre Papiere sehen möchte, sind Sie verpflichtet, sie vorzuzeigen.“ Der „Allerwelts-Vorfall“ hat nun für Theda O. Folgen: Beleidigung, gefährliche Körperverletzung, schwerer Eingriff in den Straßenverkehr, Nötigung, Widerstand und Fahrerflucht. Das Urteil: 2450 Mark Geldstrafe und zwei Monate Fahrverbot. Herrmann danach beruhigend: „Damit sind Sie keine Verbrecherin.“ Theda O.: „Ich fühle mich aber so.“ Kai von Appen