Borddisco auf Butterfahrt

■ Björn Again – Das ABBA-Revival auf Zeitreise in Berlin

Es sind nicht alles echte ABBA- Fans, die bei Björn Again in der ersten Reihe stehen, auch wenn alle alle ABBA-Lieder kennen, die die ABBA-Nachahmer Björn Again wiederholen. Die echten ABBA- Fans sitzen zu Hause und schauen das Endspiel im Europapokal der Landesmeister, bei dem die Siebziger Jahre sich in der schnodderigen Poparroganz eines Frank Rijkart spiegeln und im melancholisch weichen Über-die-Dünen-weht- der-heiße-Sommerwind-Blick von Marco van Basten.

Man kann der Seventies als einem bunten Jahrzehnt leidenschaftlicher Körper-, Grenz-, und Politikerfahrungen eher beim Fußball als in der Disco gedenken, zumal heute der nostalgisch gestylte Mittelstand in Diesel-Jeans und Flamenco-Hemden die Oberhand unter der Disco-Kugel behält. Es ist dessen diebische Freude an der Vereinnahmung der Trashvergangenheit der Proleten, die das Revival bestimmt. Das Signal zum ABBA-Remake geht nicht aus einem sehnsüchtigen Verlangen nach den alten Findungen hervor, und sei es auch nur der Erinnerung ans erste verkicherte Petting: Seelenwanderungen, die bei James Joyce im Ulysses bereits mit heruntergelassenen Hosen endeten. Sexsymbole machen die Vergangenheitsbewältigung leichter. Aber ABBA waren keine Sexsymbole. Sie hatten nur bessere Hits als Queen, Boney M. oder Baccara.

Dennoch haben sich die im australischen Richmond wiederbelebten Agnetha, Björn, Benny und Annafrid alle Mühe gegeben, die Reise in der Zeitschleife wenigstens kuschelig zu gestalten. Das plüschig rotschimmernde Metropol in Berlin ist auf Borddisco gemacht, in der man als Jugendlicher auf Butterfahrten quer über die Ostsee abhing. Dort durfte man die Leere und Langeweile nach dem zollfreien Einkauf bis zur Rückkehr in den Kieler Hafen mit Gin-Fizz, Engtanz und Flaschendrehen ertragen. In jenem Sommer von 76 waren neben „Porque te vas“ von Jeanette und David Dundas' „Jeans On“ die vier Original-SchwedInnen mit „Fernando“ in den Charts vertreten.

Noch vor dem Konzert wummern ähnlich goldene Klassiker wie die Village People und deren Schwulen-Hymne vom „YMCA“ über das wunderbare Jugendhotel, wo Jungs zueinander finden können, aus den Boxen. Nichts wurde vergessen. Dann geht die Vermischung von glücklich ausgestandener Jugend und faserigem Revival-Alltag schnell: Aus dem Off rumpelt ein Humptata, auf der Bühne imitiert ein blonder Mann im japanischen Morgenrock zu Halb-Playbackklängen Glamrock am Saxophon; ihm gegenüber traktiert gleichgekleidet ein ähnlicher Pseudo-Schwede die Gitarre, und zwei Frauen, die aussehen wie die, von denen sowieso jeder weiß, wie sie aussehen, singen alles von „Waterloo“ bis „Dancing Queen“. Tanzschritte und Bühnenkostüme sind mit den Originalen identisch, die Stimmen kann jeder inwendig mitsingen. Noch sind sie nur Fast- ABBA, aber das wird schon mit der Zeit. Harald Fricke