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Heute mal in der Nußschale

■ Frisch geduscht: K.D. Lang, Prinz aus dem Country-Stall, verzückt die Berlinerinnen. Die Berliner auch.

Ja, ist denn schon wieder Weihnachten? Roter Vorhang und Lichter in falschen Farben; und diese gestaute Freude, die warm im Brustkorb rumort und dann, kollektiv freigesetzt, dieses Fieber erzeugt, das nur jene teilen, die nichts und alles wissen (im Volksmund: Kinder)? Wenn die halbe Show um ist, leuchtet in der Bühnenrückwand ein Sternenhimmel, und am Ende gibt es ein Lied, in dem es heißt: „Barfuß geh' ich durch den Schnee / Wenn du deine Türe öffnest.“

Der Prinz trägt einen langen Frack mit güldenem Besatz und Gamaschen über den schweren Stiefeln, fährt sich mit der Hand von der Stirn bis in den Nacken, ein Leuchten in den Augen, das von vergangenen und geplanten Abenteuern berichtet. Vom Reitstall direkt in die Philharmonie. Der Prinz ist heute eine Hosenrolle und hat die Stimme von K.D. Lang. Was für eine Stimme: eine feste, bewegliche; eine, die stark wird, wenn sie laut wird; eine, die nicht im Atem untergeht, wenn sie im gedehnten Decrescendo versinkt; eine, die guttural aufbricht in sanften Figuren und die röhren kann, wenn die großen Gefühle sich zur Gosse neigen. Blech und Holz und Schalmeien, mit fließendem Übergang zwischen den Registern. Fein dosiert laufen einem die Schauer über den Rücken.

Der Sound in der Berliner Philharmonie ist makellos, perfekt hochgedreht ohne einen Anflug von Schrillheit oder Dröhnen. Die „8 piece“-Band ist ein eingespieltes Ensemble, das Programm eines vom Blatt. Da werden ein paar akustische Riffs ausgestreut, dann schließt sich das Bild, warm und voll. Da werden die Seile der Pedal Steel Guitar aufgespannt wie ein provisorischer Himmel. Die elektrische Violine bindet die wechselnden Tempi und fällt dann in einen tranceartigen Schritt. Der elektrische Baß wird elegisch gestrichen und geht ins Mark. Es ist eine Saitencombo, aber der Drummer ist der Architekt. Und der Tastenmann füllt das Volumen auf, aber schließt nicht die Fugen: eben noch die Keyboards, dann, wie von einer Brise herangetragen, ein Hauch von Akkordeon. Wir werden an diesem Abend die Grenzen der Country-Musik ergründen, sagt der Prinz. „But the question remains: What country?“

Entzückend, wie der Prinz verschämt, mit schmalen Lippen lächelnd, den Applaus aufsaugt, der dem Prinzen entgegenbrandet (nicht so sehr den tragenden Figuren vom Rand des Krippenspiels – zum Beispiel zwei weiteren weiblichen Stimmen, die das Organ des Prinzen einbetten ins Ensemblespiel). Nach eigener Aussage frisch aus der Dusche („nice and clean, ready to go“), wird der Prinz aus Vancouver gefeiert bis in die dritte Zugabe. Der Prinz macht sich einen Spaß daraus, mimt den Hillbilly, mimt Verlegenheiten, verspricht ein großes Bekenntnis, und ruft dann: „I'm a l..., l..., Liberace- fan“. Ein flottes Schlagerchen, zum Beleg.

Eine große Puppenstube, das – einmal sogar mit Kanonaden von Seifenblasen. Broadway zur Weihnachtszeit, das ziselierte Moll des amerikanischen Kunstlieds.

Szenenwechsel. Ein Tanzschuppen im amerikanischen Süden, wüstes Stampfen der Leiber. Szenenwechsel. Kunstpop, das gefällige Amalgam der Genres.

Und über allem der Prinz, die große Stimme, Entertainer, Kabarettist. Die ganz großen Formen des musikalischen Theaters, heute mal in der Nußschale, zwecks Gruppendynamik. Zeltlager im camp. Mehr als tausend L... L... Liberace-Fans. Die sich aufgeregt im Dunkeln die Hände streicheln und noch mehr. Vertrackte Logik der Rettung: Save me / Save me from you. Ulf Erdmann Ziegler

Begleitung (u.a.): Ben Mink, Violine und Gitarren; Teddy Borowiecki, Keyboards; Greg Leisz.

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