piwik no script img

Touristen im eigenen Land

■ Sie kamen mit hohen Erwartungen, lernten die Realität kennen und verloren sich zwischen alter und neuer Heimat: Ein spanischer Arbeitsimmigrant, Pendler zwischen den Grenzen, erzählt.

Es war Ende 1960. Die Autobuslinie Barcelona–Frankfurt stellte die billigste und schnellste Möglichkeit dar, die sich Spaniern bot, um in deutschen Landen Arbeit zu suchen. Im Zug reisten nur jene Landsleute, die von den deutsch-spanischen Behörden als Arbeitskräfte ausgesucht worden waren. Der „Europa-Bus“, das war unsere Plattform in ein ungewisses Abenteuer. Ich erinnere mich, daß meine erste Reise in einer euphorischen Atmosphäre stattfand. Hier ein kleiner Witz, dort ein Kommentar. Es wurde gelacht und getanzt. Obwohl es keiner aussprach, für uns damals war diese Freude auch Ausdruck einer Befreiung. Als der Bus in Frankfurt ankam, waren die Folgen unseres freudigen Tuns nicht zu übersehen. Eine Reinigung war unumgänglich.

Monate später, nach dem ersten Urlaub, traf sich die gleiche Gruppe wieder im Bus. Die Stimmung war da schon angespannter. Unsere Sorgen waren gewachsen. Wir spürten bereits zu diesem frühen Zeitpunkt, daß eine Integration in Deutschland unmöglich war. Die fremde Sprache, der kühle Umgangston der Menschen untereinander, die unterschiedliche Mentalität, die ersten Erfahrungen unsererseits mit Ausländerfeindlichkeit... Die Idee, nach Spanien zurückzukehren, nahm bald konkrete Formen an. Einige von uns hatten sich einen festen Sparplan vorgenommen (Überstunden leisten, Annehmen verschiedener Arbeiten), um dieses Rückkehrziel möglichst bald verwirklichen zu können. Andere wiederum, etwas idealistischer angehaucht so wie ich selbst, wollten zuerst den Faschismus in Spanien zerstören, bevor sie zurückkehren. Als der Bus nach dieser zweiten Urlaubsreise in Frankfurt ankam, stellte ich fest, daß er blitzblank war.

Unsere Erlebnisse in Deutschland wurden sehr von den Erfahrungen geprägt, die wir an den jeweiligen Arbeitsplätzen machten. Seitdem weiß ich: Im Betrieb hast du es immer mit drei unterschiedlichen Gruppen von Deutschen zu tun. Eine Minderheit der deutschen Kollegen bringt dir Respekt entgegen, hilft dir, wenn du es nötig hast. Eine andere, größere Gruppe ist total passiv. Und die dritte kleine Gruppe, das sind jene, die sich zu Aufpassern aufschwingen, dich ständig kontrollieren und jeden kleinen Mißgriff sofort melden und weitererzählen. Diese „sozialen Beziehungen“ im Betrieb waren dann immer am härtesten, wenn die wirtschaftliche Lage schlechter wurde.

Wie ich schon anfangs erwähnte, trieb mich mein typischer „Don-Quijote-Geist“ dazu, mich einer Gruppe von anderen idealistischen Spaniern anzuschließen. Wir alle wollten für die Demokratie in Spanien kämpfen. Die mehr als zehn Jahre, in denen ich hier politisch aktiv war, haben mir die Solidarität des deutschen Volkes gezeigt – vor allem die der Jugend.

Jetzt, nach Jahren, sind immer noch viele meiner spanischen Bekannten aus dem Bus in Deutschland geblieben. Weil sie hier eine Familie gründeten. Jetzt, nach Jahren, frage ich mich, was ist von uns geblieben? Wir, die wir uns nicht integriert fühlen und vielleicht wegen dieser Eigenart, die man Stolz nennt und uns Spaniern immer nachsagt, haben all diese Jahre auf diese Nichtintegration mit der Idealisierung all dessen, was spanisch war, geantwortet. Sogar die schlechten Sitten und Gebräuche haben wir idealisiert!

Viele der Spanier in der Bundesrepublik haben sich durch harte Arbeit eine Wohnung in Spanien kaufen können. Nicht wenige sind dabei Opfer der Spekulation von Banken und Immobilienhändlern geworden: In Spanien wurden Häuser ohne die notwendige Infrastruktur gebaut, einfach in den Vororten. Das Ziel war der sofortige Verkauf. Wer sich darauf nicht einließ, sieht sich heute vor die Situation gestellt, daß er jetzt in Spanien aus Geldmangel keine Wohnung mehr bekommt. Die Spekulation hat in den letzten vier Jahren die Preise um bis zu 400 Prozent steigen lassen. – Wir, die wir in Deutschland lange und harte Jahre gearbeitet haben, stehen jetzt vor einer geteilten Rente. Eine aus Spanien und eine aus Deutschland. Das bedeutet für uns zunächst mal eine Benachteiligung im Vergleich zum deutschen Kollegen. Die Rente aus Spanien wird durch die permanente Abwertung der Peseta minimiert.

Die Träume der Rückkehr in das idealisierte Spanien sind von der Wirklichkeit eingeholt worden. Der Rentner, der eine Wohnung in Spanien hat, pendelt zwischen beiden Ländern. Ein paarmal im Jahr. Stets mit dem Wunsch verbunden, dorthin zurückzukehren, wo er familiäre Wurzeln zu haben glaubt. Jene, die keine Wohnung haben, reisen auch mehrmals im Jahr nach Spanien und müssen dort eine völlig neue Erfahrung machen: Sie werden als Touristen behandelt!

Jene Spanier, die einst auswanderten, haben die Erfahrung gemacht, daß solche abstrakten Konzepte wie Nation oder Tradition durch die konkreten Lebensbedingungen ad absurdum geführt werden. Daß das Prinzip Nation sich in der Familieneinheit wiederfindet, und erst ab hier werden die Grenzen sichtbar für das, was man Vaterland oder Heimat nennt. A. de Lafuente

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen