: Allein mit Martin Luther King
■ Halbzeit beim 8. Black International Cinema im Berliner Kino Sputnik
Am Sonntag nach den Morden in Solingen lag im Sputnik-Kino ein kleines Flugblatt aus: „In Deutschland wie auch anderswo prallen zur Zeit stärker denn je die Menschen aufeinander, gedeihen Vorurteile und macht Haß sich breit. Was fehlt, ist die Kommunikation zwischen den Interessengruppen, zwischen der Mehrheit und den Minderheiten, aber auch den verschiedenen Minderheitengruppen untereinander. Genau hier setzt das ,Fountainhead Tanz Theatre‘ mit seinem nun im achten Jahr existierenden ,Black International Cinema‘ ein.“
Also, könnte man denken, eine wichtige, unterstützenswerte Initiative, die von Gayle McKinney Griffith und Donald M. Griffith seit 1986 organisiert wird. Doch leider fällt die Zwischenbilanz des diesjährigen Festivals anders aus. Selten war das „Sputnik“ so leer, die Projektion so miserabel und am schlimmsten: die Filme so belanglos und uninteressant. In der Mehrzahl handelt es sich um (studentische) Fingerübungen, die zwar mit wichtigen, auch brisanten Themen in der Inhaltsangabe locken, dann aber durch distanzierte Oberflächlichkeit, unverbindliche Interviewfragen oder Holzhammerpädagogik zur reinen Geduldsprobe werden.
„Neglect not the Children“ von Ricki Stern zum Beispiel stellt in 58 Minuten vier Kids aus einem New Yorker Ghetto vor. Die wirr ineinander verschachtelten Biographien werden am Anfang und Ende des Films mit einem pfarrermäßigen Appell ans schlechte Gewissen eingerahmt, dazwischen hört man die Portraitierten von ihren Schicksalen zwischen Drogen, Obdachlosigkeit und Teenager- Schwangerschaften erzählen. Mit merkwürdiger Impertinenz schneidet der Filmemacher den Jugendlichen jedesmal das Wort ab, wo immer sich ihre Antworten zu Geschichten verdichten. „Neglect not the Children“ enthält dem Publikum außerdem vor, was Filme normalerweise sehenswert macht: die Bilder. Eine Stunde lang wird von extremen Lebensumständen geredet, die sich vorzustellen aber ganz der Phantasie überlassen bleibt.
Wie Ricki Stern hat auch Ronald Lacey einen typischen „Talking heads“-Film gemacht: In „Debra Wynn – Portrait of an Interracial Family“ sitzt die Tochter eines schwarzen Vaters und einer weißen Mutter auf dem Sofa und erzählt einen auswendig gelernten Text, wie harmonisch es in ihrer Kindheit bei ihnen zu Hause zugegangen sei. Ab und zu wechselt die Kamera die Position, und zur cinematographischen Auflockerung werden ein paar Photos aus dem Familienalbum eingeblendet. Der Film wirkt steril wie ein desinfiziertes Badezimmer, das Zuschauen gleitet wider Willen in gelangweiltes Desinteresse ab.
Diese Reaktion war in dem französischen Dokumentarfilm „Africa Accused“ nicht möglich. Jean-Pierre Zirn als Regisseur springt wild zwischen Mali und einem Pariser Gerichtssaal hin und her, wo er häppchenweise Befürworter und Gegner von Beschneidungsritualen zu Wort kommen läßt. In beharrlicher Wiederholung nicht mehr ganz neuer Argumente beschreibt ausgerechnet ein französischer Arzt im OP-Outfit, wie negativ sich die Klitorisbeschneidung auf weibliches Sexualempfinden auswirkt... Mit Macho-Gestus vorgetragen, schlagen feministische Positionen nur allzu leicht ins Gegenteil um!
„Gut gemeint und echt daneben“ sind auch zwei der bisher auf dem Black International Cinema gezeigten Spielfilme. „The Rhyming Zoo“ von Michael Brewer zum Beispiel macht den als Sympathieträger aufgebauten „Uncle Dave“ unfreiwillig zum Typ „komischer Päderast“. Weil er als Spaßvogel eigentlich nur von seiner süßen Nichte wirklich ernst genommen wird, laufen ihm auf dem Rückweg vom Verwandtenbesuch dicke Krokodilstränen über die Wangen.
Der einzige afrikanische Film im Programm, „Neria“, kommt aus Simbabwe und erzählt die Geschichte einer Frau, die sich gegen ihren habgierigen Schwager erfolgreich zur Wehr setzt. Neria kämpft gegen die Tradition, als Witwe inklusive Kindern und Habseligkeiten in den Besitzstand der Familie ihres verunglückten Ehemannes aufgenommen zu werden. Zu Beginn vermittelt dieser Film noch etwas authentische Alltagsatmosphäre, doch das letzte Drittel spielt im Gerichtssaal, wo nach einer langen Verhandlung ein nachdenklich dreinblickender weißer Richter-Daddy der Tragödie überraschend ein Happy-End verpaßt.
Unter einer Mehrzahl von Filmen und Videos, die nach rein inhaltlichen Kriterien für das Black International Cinema ausgewählt wurden, drohen die wirklich sehenswerten Produktionen wie der parteiisch-provozierende Dokumentarfilm „Passin' it on“ unterzugehen. John Valadez ist es in diesem Portrait des Black-Panther- Aktivisten Citizen Dhoruba gelungen, zwischen den frühen sechziger Jahren und der Gegenwart überaus brisante Verbindungen herzustellen. Ohne expliziten Bezug auf Rodney King (der Film ist von 1992), werden die Strukturen und Mechanismen der amerikanischen Staatsgewalt mit einer Schärfe analysiert, die die Ereignisse von South Central L.A. wie eine logische, voraussehbare Entwicklung erscheinen lassen.
Es fällt nicht leicht, an einer Veranstaltung herumzukritteln, die sich die „Aussöhnung“ und „Wiederherstellung von harmonischem und freundschaftlichem Zusammenleben von Völkern und Regionen“ auf die Fahnen geschrieben hat. Zumal die Veranstalter und Mitarbeiter das „Black International Cinema mit sehr viel Engagement und sogar einer Menge Geld organisieren. Etwa 40.000 bis 50.000 DM, so schätzt Donald Griffith, haben er und seine Frau aus ihrer Privatkasse gezahlt, der Senat hat nur ein Flugticket für die Programmkoordinatorin spendiert.
Trotzdem: Auch aus politischen Gründen müssen sich die Veranstalter fragen lassen, ob es nicht richtiger wäre, Film als Film ernst zu nehmen. Es wäre sinnvoller, statt 14 Tage lang unter vielen mittelmäßigen und langweiligen Produktionen ein paar Perlen zu verstreuen, vielleicht nur ein Wochenende lang die wirklich guten Filme zu zeigen – aber bitte nicht als kaum erkennbare Videoprojektion in einem Riesenkino! Wenn die Idee der Kommunikation zwischen Mehr- und Minderheiten ernst gemeint ist, bleibt es zudem unverständlich, warum die unendlich vielen Berliner Organisationen und Einzelpersonen, die potentiell zur Zielgruppe des Festivals gehören, nicht enger in die Veranstaltung einbezogen wurden. Für mich war es jedenfalls eines der deprimierendsten Kino- Erlebnisse, mutterseelenallein vor der Leinwand zu sitzen, auf der Martin Luther King in voller Länge seine „I have a dream“- Rede hielt. Als im Anschluß daran auch noch das Seminar über „Minorities in the media of Germany and in the USA“ wegen Teilnehmermangel ausfiel, verließ ich das Sputnik in der verzweifelten Hoffnung, den dem Kino Ferngebliebenen auf einer realen Demo zu begegnen. Dorothee Wenner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen