: Überall – nur nicht hier
Nicht nur in Berlin, auch im tiefen Australien regt sich Widerstand gegen die Olympiabewerbung für das Jahr 2000 ■ Aus Sydney Ingrid Strewe
In der letzten Zeit hatte man in Sydney bei jedem größeren Ereignis das Gefühl, als stünde die Wohlfahrt der Nation auf dem Spiel. Die „Royal Easter Show“, größte Messe landwirtschaftlicher Produkte in Australien, wurde in diesem Jahr prompt als „Olympic's Easter Show“ vermarktet. Via Presse insinuierten die für die Bewerbung um die Olympischen Spiele Verantwortlichen gar, mit dem Gelingen der traditionellen Landwirtschaftsschau stehe und falle Sydneys Chance als Austragungsort der Olympischen Spiele im Jahre 2000.
Sollten die Spiele tatsächlich in Sydney stattfinden, wird sich die rustikale Messe der australischen Farmer – Ironie des Schicksals – allerdings eine andere Heimstatt suchen müssen. Der Ministerpräsident von Neu Süd Wales hat nämlich angekündigt, das Gelände zu verkaufen, um mit dem Erlös die olympischen Wettstreiter, Trainer und Funktionäre einmal um den Globus nach Australien zu fliegen. Denn die Entfernung zu den Sportsfreunden der restlichen Welt wird Sydney als Defizit angerechnet. Die großzügige Verteilung von Flugtickets soll die Olympiagötter vom IOC gnädig stimmen und auch ihnen die lange Anreise versüßen.
Schenkt man Zeitungsumfragen Glauben, so sind 90 Prozent der Sydneysider für die Austragung der Olympischen Spiele in der Vier-Millionen-Stadt. Sogar Greenpeace Australia kündigte an, den sportlichen Wettstreit als die „Spiele ohne Plastikbesteck“ zu unterstützen. Und in den Medien regt sich, im Gegensatz zu Berlin, wo jeder Skandal und Winkelzug der Olympia GmbH prompt ins gleißende Licht der Öffentlichkeit gerät, kaum Kritik.
Da ist es schon beachtenswert, daß der Stadtrat von Waverley, einem Stadtbezirk von Sydney, einhellig – Konservative, Labour-Partei und die (rot-grünen) Unabhängigen – dafür gestimmt hat, eine Untersuchung im Hinblick auf die Auswirkungen der olympischen Veranstaltung vornehmen zu lassen.
Der stellvertretende Bürgermeister, Paul Pearce, regt eine entsprechende Studie für den gesamten Großraum Sydney an. Zu prüfen seien: Beeinflussung der Mieten, Belastung der Umwelt, Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die Kosten von Grundnahrungsmitteln, Dienstleistungen, Verkehr und Sicherheitsmaßnahmen.
Die Bewahrung von preiswertem Wohnraum ist dem Stadtrat wichtiger als die Bewerbung um olympische Ehren. Um 62 Prozent stiegen die Mieten in Brisbane, als 1988 die Weltausstellung in der Hauptstadt von Queensland stattfand. 3.000 Mietern wurde gekündigt und Wohnungen zu Dutzenden in Herbergen für Rucksacktouristen umgewandelt. Der Segelmarathon in Freemantle, der sogenannte America's Cup, wirkte sich ähnlich verheerend auf gewachsene Stadtstrukturen aus.
Der Bezirk Waverley im Osten der City, liegt relativ weit weg von Homebush, im Westen Sydneys gelegener Vorort am Paramatta- Fluß, wo das olympische Stadion und das olympische Dorf errichtet werden sollen. Trotzdem hat man in Waverley allen Grund zur Sorge. Schmuckstück von Waverley ist nämlich Bondi Beach, der berühmteste Strand von Australien und damit eine der größten Touristenattraktionen von Sydney.
Die feuchtfröhliche Weihnachtsfeier meist englischer Urlauber zum Beispiel verwandelte den weißen Sandstrand am Pazifischen Ozean letztes Jahr in die reinste Müllkippe. Säuberungskosten für die Gemeinde: 15.000 Dollar. Die durch die Touristen verursachten Mehrausgaben belasten den Etat von Waverley beträchtlich, und keiner mag sich auch nur vorstellen, was da auf die Gemeinde zukommen wird, wenn die Olympia- Touristen dem Paradestück australischer Strandkultur ihren unvermeidlichen Besuch abstatten werden. Die amerikanische Frühstücksshow „Good morning America“ meldete sich kürzlich mit einer „Olympia-Spezialausgabe“ aus Sydney. Natürlich – wie von den Einheimischen befürchtet – aus Bondi Beach.
„Warum sollten die auch in Homebush filmen, so wie's da aussieht?“, kommentierte Pearce lakonisch mit Blick auf das für die Spiele vorgesehene Gelände. Homebush mit seiner gleichnamigen Bucht ist eines der verseuchtesten ehemaligen Industriegebiete der Stadt. Jahrelang wurden hier die Abfälle einer Batterie- und Munitionsfirma einfach ins Wasser geschüttet. Ökologen vermuten, daß es ratsam wäre, die Bucht in ihrem Status quo zu belassen, da jede Erschütterung des Wassers eine Ausdehnung der Verseuchung durch die Strömung in den Hafen zur Folge haben könnte.
„Die möglichen negativen Auswirkungen der Olympischen Spiele müssen öffentlich diskutiert werden“, fordert Pearce. „In Barcelona haben die Spiele eine Milliarde Dollar Schulden verursacht. Das kann sich Sydney nicht leisten.“ Nach Auskunft des Olympischen Wettbewerbskomitees ist die Finanzierung der Spiele voll abgesichert. Wirtschaftsexperte Max Walsh sieht das anders: Die Kosten für den notwendigen Ausbau der Infrastruktur, wie etwa Kosten für Erweiterung der Straßen-, Eisenbahn- und Flughafenkapazitäten, sind in diesem Kostenvoranschlag nicht inbegriffen. Auf diese Art und Weise könnte die Stadt doch massiv in die roten Zahlen geraten. Schulden, die sich Sydney nicht leisten kann, nicht im Interesse der sozial Schwachen. Und schon gar nicht im Hinblick auf die Umwelt.
Die Einheimischen planen schon die Flucht, sollte Sydney das Rennen gewinnen. Ein Restaurantbesitzer in Bondi Beach will während der Spiele einen Manager einsetzen, der sein Restaurant leitet, während er Urlaub macht – so weit weg wie möglich. Vielleicht in Berlin.
„Angeblich wollen 90 Prozent der Bevölkerung, daß wir die Spiele ausrichten. Komisch, ich kenne keinen einzigen“, wundert sich Pearce. „Alle, die ich kenne, sind für Berlin oder Beijing – sogar Manchester. Egal wo – nur nicht hier.“
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