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Botham City liegt an der schönen grauen Donau

■ Bratislava, Hauptstadt der Slowakei, geprägt von trister Vergangenheit

Es ist nicht der Duft der großen weiten Welt, der durch die Straßen von Bratislava, der jüngsten Hauptstadt Europas, zieht. Das Gemisch aus pechschwarzem Kohleruß, beißenden Autoabgasen und schwefelsäuerlichen Chemiegerüchen erinnert noch heute an das Grau des eisernen Vorhangs. Unweit des Autobusova Stanika, wo sich die Mlynske' Nivy mit der Dostojevske'ho Rad kreuzt, herrscht ein lärmendes Corso. Stoßstange an Stoßstange brettern Autos die vierspurigen Stadtschnellstraßen entlang. An den Mauern und Pfeilern überlappen sich Reklametafeln mit schnell geklebten Veranstaltungsplakaten. In einem der danebenliegenden unscheinbaren Cafés treffen sich die Jugendlichen, oder sie patroullieren, in Bomberjacken und Turnschuhen, ziellos durch die Straßen. Im Kino wird gerade Batman gespielt. Doch die Kulisse des Hollywood-Streifens ist eine schlechte Kopie der Betonöde von Bratislava. Die „Schöne an der Donau“, wie sich die slowakische Metropole gerne selbst nennt, könne genausogut Botham City heißen.

Wie unüberwindbare Gräben zerteilen autobahnähnliche Pisten, Hochstraßen und Unterführungen die Stadt, endlos ziehen sich die Wohn- und Schlafgettos des Satellitenvororts Petrzalka dahin, der eiskalte Wind fegt Müll und Papierfetzen über die mit Bauschutt übersähten kahlen Flächen. Auf die Wände der monströsen Wohnasyle, in denen rund 200.000 Menschen leben müssen, hat das Volk seine Wut geschmiert: Kommunisten sind Bastarde, steht da auf englisch; daneben haben Unbekannte als Hoffnung das slowakische Doppelkreuz gemalt.

In Bratislava zerstörten die einstigen Machthaber in vierzig Jahren mehr, als zwei Weltkriege zuvor vernichten konnten. Um Freiräume zu schaffen für unzählige Fabrikanlagen, kilometerweite Satellitenstädte und absurde Highways ließen sie in ihrem modernisierungssüchtigen Größenwahn ganze Stadtviertel ausradieren. Selbst ein Großteil der historischen Altstadt, darunter das jüdische Ghetto, mehrere Synagogen und die Fischersiedlungen an der Donau mußten weichen, nicht einmal Karl Marx' Mutterhaus blieb vom Abriß verschont. Niederreißen, demolieren, zerfallen lassen – und dann etwas Neues schaffen, alles unvollendet freilich, weil irgendwann die Baumaterialien, die Farbe oder die Betonzuteilung ausgegangen ist. So grausam wahrzunehmen wie die Architektur ist auch der Dreck, den das an die Pheripherie geklotzte staatliche Raffineriekombinat Slovnaft, das größte Chemiewerk der Republik, täglich über der Stadt ausschüttet. Vor allem ihm und der restlichen Chemieindustrie an der Donau ist es zu verdanken, daß Bratislava bis zuletzt so gut wie alle traurigen Rekorde der geteilten Tschechoslowakei hielt: die geringste Lebenserwartung, die höchste Kindersterblichkeit, die dramatischste Krebsrate, die größte Anzahl an Selbstmorden.

Ein Stück Geschichte aus einer anderen Zeit hat es trotz aller Anfeindungen des realen Sozialismus hinübergerettet. Gotik, Renaissance, Barock, Rokoko, Klassizismus und Jugendstil erwecken geradewegs den Eindruck, als sei der kleine Stadtkern ein Überbleibsel jenes längst verblichenen Kakanien, als sich die Stadt noch auf deutsch Pressburg, auf slowakisch Bratislava und auf ungarisch Poszony nannte und eigentlich ein Vorort des nur 60 Kilometer weit entfernten Wien war. Was von der Altstadt noch übriggeblieben ist knüpft an die österreich-ungarische K.-u.-K.-Monarchie an. Im Sankt-Martins-Dom wurden schließlich elf österreichische Kaiser zu ungarischen Königen gekrönt, und am Anfang des vergangenen Jahrhunderts standen die engen Gassen am Abend den Alten, den Liebenden und den Poeten offen. Heute reiht sich Laden an Laden, und auch Wirtshäuser und Cafés haben wieder eröffnet.

Alles wandelt sich. Besser, bunter, schöner, leichter sollte das Leben nach dem kommunistischen Zerfall werden. Die neue Wirklichkeit ist zwar besser als die vorangegangene, aber für die Menschen zweifellos ebenso unbefriedigend. In einer derart labilen Lage genügte es, den Slowaken die staatlicher Souveränität als Heilmittel gegen die ökonomische Unterdrückung durch die Tschechen sowie als nationale Emanzipation zu verkaufen, um den gemeinsamen Staat zu Fall zu bringen. Doch das Ende der Tschechoslowakei geht nicht nur vielen Einheimischen gegen den Strich, es hat der Welt auch eine Hauptstadt Bratislava beschert.

Wie schnell sich das Geschichtsbild wandelt, das zeigen auch die Stadtpläne- Karten. Die alten Karten von Bratislava sind fast unbrauchbar geworden, und selbst die neuen haben ihre Mängel. Lenin hat sich gerirrt, folglich wurde sein Museum geräumt und die Straße davor in Stefanikova umbenannt. Der Platz vor dem Rathaus, der in diesem Jahrhundert schon dreimal seinen Namen gewechselt hat, heißt heute Hauptplatz. Ob Klement Gottwald, erster Ministerpräsident und KPČ-Chef oder Gustav Husak, der letzte kommunistische Staatspräsident – sie sind genauso verschwunden wie all die unbekannteren Funktionäre und heroischen Kämpfer des sozialistischen Realismus, die noch gestern Straßen und Plätze bewachten und an die inzwischen ungeliebte geschichtliche Irrfahrt erinnern.

Die Freude über die Trennung ist, zumindest in der Hauptstadt, deutlich abgeklungen, und selbst die Begeisterung für den neuen Nationalstaat hält sich in Grenzen.

Werden die Sockel, von denen die gestern noch Mächtigen gestürzt wurden, leer bleiben? Wohl kaum, schließlich suchen die Slowaken noch nach einer eigenen Identität. Auf Veranstaltungen der slowakischen Berufsnationalisten schwappt schon länger die braune Ursuppe von vorgestern wieder hoch. Am 14. März, dem Jahrestag des slowakischen Staats nach Hitlers Gnaden, schnarrt in der Bratislavaer Innenstadt die Stimme des Präsidenten Jozef Tiso aus dem Lautsprecher; ein Grüppchen macht dem Klerikalfaschisten seine Aufwartung. Lebhaft verteidigen sie den Pfarrer, der die Slowakei von 1939 bis 1945 regierte und 1947 hingerichtet wurde, weil er die Deportation von über 60.000 slowakischen Juden zuließ. Tiso, so schwärmt dessen Anhängerschaar, habe schließlich die Slowakei aus der Umklammerung der Tschechen gelöst, die ihren haßgeliebten Brüdern 20 Jahre lang die im Pittsburger Vertrag von 1918 versprochene Autonomie verweigert hatten. Und während die Slowaken weiter unter einem gewissen Minderwertigkeitsgefühl leiden, weil im Ausland nicht einmal ihre Literaten und Intellektuellen wahrgenommen werden, hält man sie dort für ein bißchen leichtsinnige und faule Kinder, denen man kaum etwas übelnehmen kann, nicht einmal das Tiso-Experiment. Dabei wollen die Slowaken nur der Angst vor der Zukunft entkommen. Erwin Single

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