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Die Augsteins kommen und gehen...

■ betr.: "Der europäische Kulturgarten", taz vom 14.6.93

betr.: „Der europäische Kulturgarten“, taz vom 14.6.93

Die Erwiderung durch Ömer Erzeren war notwendig und ist darüber hinaus durchaus zutreffend. [...]

Der deutsche Nationalismus kann durch die verschiedenen Situationen hindurch auf eine sieben bis acht Generationen währende Kontinuität zurückblicken, die deutsche Geschichte ist überhaupt nur als periodische Schwerpunktverlagerung zwischen gemäßigtem und extremen Nationalismus verstehbar. Als nationalliberaler Berufsideologe mit partiell angelesenem Geschichtswissen fühlte sich Augstein stets berufen, an den taktischen und strategischen Diskussionen innerhalb des nationalen Konsenses teilzunehmen. Der Wechsel vom eigenständigen Nationalsozialismus zur Spaltung Deutschlands und zur Westintegration fiel ihm nicht leicht.

Gerne kartet er gegenüber den Alliierten der ehemaligen Anti- Hitler-Koalition nach. Die neue Ostpolitik sah er als im nationalen Interesse Restdeutschlands liegend an. Sehr schnell und in Übereinstimmung mit Kohl spielte er die nationale Karte im Zusammenhang mit der Angliederung der DDR und der Ablehnung eines eher österreichischen Weges. In seiner Skepsis gegenüber Maastricht hängt er dem alten Nationalstaat noch nach und möchte die anderen Nationalismen mehr auf die deutsche Linie trimmen. Gleichzeitig antizipiert er mit seinem Gerede vom „europäischen Kulturkreis“ den bedeutsamer werdenden Euro-Chauvinismus als Ausdruck der Schnittmenge der europäischen Nationalismen.

Als machthabender Berufsideologe ist Augstein genötigt, statt von Umrüstung, Unterstützung pro- westlicher Demokratien und Diktaturen, Verdrängung der USA aus Nahost, Erlangung von Atomwaffen, Sitz im Sicherheitsrat, neuen Mauern durch und um Europa usw. von Christentum, Menschenrechten, Demokratie, europöäischen Kulturkreis usw. zu sprechen. In Bezug auf die rechtliche Stellung von Immigranten glaubte Augstein allerdings seine humanitäre Maske fallen lassen zu können – hier liegt die eigentliche Überraschung.

Weltweit leben etwa 4.000 Nationalitäten in etwa 180 Staaten. Ihr Zusammenleben sollte vernünftigerweise auf der Basis der gegenseitigen Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts (SBR) erfolgen. Für geschlossene Siedlungsgebiete geht das SBR bis hin zum Recht auf staatliche Lostrennung. Grenzen sind entsprechend dem mehrheitlichen Willen der Wohnbevölkerung festzulegen. Für Minderheiten gilt, daß sie das Recht haben, an ihrer Sprache und ihren Ernährungsgewohnheiten festzuhalten.

Wer wie Augstein von Minderheiten Integration und Assimilation erzwingen will, der negiert das SBR. Etwas anderes ist es, wenn Minderheiten von sich aus, freiwillig und im eigenen Interesse Integrationsleistungen, wie zum Beispiel die Erlernung der vorherrschenden Sprache, vollbringen. Um es für solche Leute wie Augstein zugänglicher zu machen: Der deutsche Staat hat nicht das Recht, einer Türkin oder Chinesin das Essen von Hamburgern zur Pflicht zu machen, aber die Chinesin oder Türkin hat das Recht – aber nicht die Pflicht – Hamburger zu verspeisen.

Alle, die anderen Nationalitäten das Selbstbestimmungsrecht verwehren, sind Nationalisten, also ist auch Augstein mit seiner Germanisierungspolitik ein Nationalist. Die Umerziehung von Augstein nach 1945 muß als gescheitert betrachtet werden. Die Augsteins kommen und gehen, doch die deutsche Misere bleibt bestehen. Schon bieten sich genügend nachwachsende Idioten an. Amelie Müller, Bielefeld

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