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„Im Namen des Volkes: Gebärt!“

■ Weibliche Reaktionen auf die gestern in Kraft getretene Übergangsregelung zum Abtreibungsparagraphen 218

Berlin (taz) – Frauen gingen gestern in mehreren deutschen Städten auf die Straße, um gegen das an diesem Tag in Kraft getretene Karlsruher Abtreibungsurteil zu demonstrieren. Mit der richterlichen Übergangslösung wird die in Ostdeutschland seit mehr als 21 Jahre geltende und bewährte DDR-Fristenregelung abgelöst.

Unter dem Motto: „Ab heute wird bezahlt“ begannen in Berlin die Aktionen morgens um neun vor dem Roten Rathaus. Zum Protest aufgerufen hatte das Berliner „Aktionsbündnis Paragraph 218“, ein am Tag der Urteilsverkündung gebildeter Zusammenschluß von unabhängigen Frauen, Frauen aus Aktionsgruppen, Parteien, Gewerkschaften, Ärztinnen, pro familia und vielen anderen. Nur wenige Frauen folgten dem Aufruf. „Und die Männer, die hier sind, sind Polizisten“, stellt die Sprecherin des Aktionsbündnisses, Silvia Mosen, enttäuscht fest. „Viele sehen § 218 einfach nicht als Politikum an. Sie finden, Abtreibung ist Privatsache.“ Der Aktionstag soll einmal mehr das Gegenteil beweisen. „§ 218 – im Namen des Volkes: Gebären Sie, Frau!“ faßte die Aktionsgruppe die Quintessenz des Urteils zusammen. „Ein Spiel, was keines ist“ inszenierten in schwarz gekleidete Frauen von pro familia. Sie stellten fiktive drastische Beratungsgespräche nach den neuen Maßgaben der Karlsruher Richter dar. „Wir sind empört über die neue Form der Zwangsberatung“, sagte Monika Häußermann, Sprecherin der Beratungsgesellschaft. Für Sonnabend kündigte das Aktionsbündnis eine Großdemonstration in Berlin an, die gegen das frauenverachtende und entmündigende Urteil gerichtet sei.

Die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Würfel, sagte gestern, die FDP habe schon eine Arbeitsgruppe unter ihrer Leitung eingesetzt, um einen neuen Entwurf zum Abtreibungsrecht vorzulegen. Es werde einen neuen Gruppenantrag geben. Der Paragraph 218 werde so geändert, wie es der FDP- Entwurf vorsehe, meinte Würfel: „Wir haben die Rechtskonstruktion dafür in der Schublade.“

Die Bonner CDU-Ministerinnen Angela Merkel (Frauen) und Hannelore Rönsch (Familie) wollen die vom Verfassungsgericht angeordnete Übergangsregelung möglichst bald neu regeln. „Wenn wir uns alle anstrengen, wird dieses Gesetz noch vor Ende dieser Legislaturperiode fertig sein“, sagte Frau Merkel gestern. Herta Däubler-Gmelin (SPD) geht davon aus, daß die Übergangsregelung über diese Legislaturperiode hinaus bis zum Jahr 1995 gilt. Erst dann seien die Voraussetzungen für eine endgültige Regelung geschaffen. Als größtes Problem bezeichnete sie die Finanzierung der Beratungsstellen. mk

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