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Bosnier setzen Präsidenten ab

■ Izetbegović weigerte sich, den Teilungsplan zu akzeptieren / Kroate Boraš soll nun unterschreiben

Genf (taz) – Der bisherige Präsident von Bosnien-Herzegowina, Alija Izetbegović, ist politisch im Ruhestand. Gestern nachmittag entmachtete das neunköpfige bosnische Staatspräsidium Izetbegović und ernannte den Kroaten Franjo Boraš zum Delegationsleiter bei den Genfer Verhandlungen sowie zum Übergangspräsidenten für zunächst einen Monat.

Izetbegović hatte sich bis zuletzt geweigert, heute in Genf über die von Serben und Kroaten vorgelegten Pläne zur Dreiteilung Bosnien-Herzegowinas auch nur zu verhandeln. Interims-Nachfolger Boraš wurde zusammen mit den sechs weiteren Mitgliedern des Präsidiums, die für seine Ernennung gestimmt hatten – darunter ein Muslim, zwei Kroaten und drei Serben – noch gestern abend in Genf erwartet, wo heute morgen auch der serbische Präsident Slobodan Milošević, sein kroatischer Amtskollege Franjo Tudjman sowie die Führer der bosnischen Serben und Kroaten, Radovan Karadžić und Mate Boban eintreffen sollen.

Gegen die Entscheidung, Izetbegović als Präsident zu kippen, stimmten nur er selber und sein Stellvertreter, Ejup Ganić. Beide flogen gestern von Zagreb nach Sarajevo, wo sie eine bosnische „Führungskonferenz“ unter Beteiligung von Mitgliedern des Präsidiums, der Regierung, der Armee sowie von Intellektuellen und Hochschulprofessoren zusammenrufen wollen. Ganić erklärte nach der Zagreber Präsidiumssitzung, die nach Genf reisenden sieben Mitglieder des Präsidiums hätten nicht das Recht, irgend etwas zu unterzeichnen. Sie sollten sich lediglich anhören, was die Unterhändler von EG und UNO, David Owen und Thorvald Stoltenberg, zu sagen hätten, und darüber auf der Führungskonferenz in Sarajevo berichten. Die Entscheidung über die Absetzung Izetbegovićs wurde von dem aus Bihać stammenden muslimischen Präsidiumsmitglied Fikret Abdić mitgeteilt, der selber in den letzten Wochen zunehmend als Kandidat für die Nachfolge des bosnischen Staatsoberhauptes ins Gespräch gekommen war. Abdić hatte sich bereits vergangene Woche grundsätzlich zu Verhandlungen über den von Serben und Kroaten vorgelegten Plan zur Dreiteilung Bosniens bereit erklärt. Owen und Stoltenberg bemühten sich hinter den Genfer Verhandlungskulissen nach Kräften, Abdić aufzuwerten und damit die auch aufgrund eigener Fehler zunehmend angeschlagene Autorität Izetbegovićs weiter zu untergraben.

Daß statt Abdić der als „moderat“ geltende Kroate Boraš, der bis zum Kriegsbeginn Literaturprofessor an der Universität Sarajevo gewesen war, zum Übergangspräsidenten bestimmt wurde, begründete Abdić mit den Worten, er selbst habe keine Ambitionen und Boraš sei „der nächste im Alphabet“ gewesen. Unter Genfer Beobachtern gilt Abdić, der zumindest in der Region Bihać gute Beziehungen zu Serben und Kroaten unterhält, jedoch weiterhin als der kommende Mann.

Karadžić und Boban haben sich inzwischen auf einen Teilungsplan geeinigt, der für den serbisch-bosnischen (Teil-)Staat 50, für den der Kroaten 30 und für die beiden unverbundenen muslimischen Gebiete insgesamt 20 Prozent des Territoriums der ehemaligen jugoslawischen Republik vorsieht. Vertreter der bosnischen Serben erhoben inzwischen auch Forderungen nach der Innenstadt von Sarajevo. Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat erklärte gestern, bei einer Weiterführung des Krieges gebe es in den nächsten Wochen 200.000 neue Flüchtlinge. azu

Siehe auch Seiten 2, 8 und 10

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