: Nachschlag
■ Ulrich Dibelius im Haus am Waldsee
Ulrich Dibelius hat der 1965 gegründeten „Gruppe Neue Musik Berlin“ und ihren Mitgliedern Karl Heinz Wahren, Gerald Humel und Wilhelm Dieter Siebert in seinem Buch „Neue Musik 1965 bis 1985“ einen ganzen Absatz gewidmet, Thema: „tätiges Erschließen von Aufführungsmöglichkeiten“. Dreifach verschiedene musikalische Prägnanz bescheinigt er den Komponisten dort: Siebert kritisch-sarkastische Ironie, Wahren engagierte Bekenntnishaftigkeit und Humel farbintensive Expression.
Im Haus am Waldsee fand nun Mittwoch abend ein Konzert der zugehörigen Ensembles statt, das nicht nur Kompositionen der drei Gründer, sondern auch Kammermusik zweier ihrer Ostkollegen zu Gehör brachte.
Für den Juni etwas ungewöhnlich, eröffnete Gerald Humels „Wintergeist“. Farbintensiv und expressiv geht der Wintergeist da in satztechnischen Regionen des Jahrhundertbeginns spazieren – und da friert's einen freilich selbst im Sommer.
Wahren hingegen geht gleich noch ein paar Jahrzehnte weiter zurück, liebt Dreiklangharmonien, von denen Adorno bereits in seiner „Philosophie der Neuen Musik“ schrieb, sie seien den okkasionellen Ausdrücken der Sprache zu vergleichen und mehr noch dem Geld in der Wirtschaft: „Ihre Abstraktheit befähigt sie dazu, an allen Orten vermittelnd einzutreten, und ihre Krisis ist der aller Vermittlungsfunktionen in der gegenwärtigen Phase aufs tiefste zugehörig.“ Die Musik Wahrens vermittelt eifrig, hat nur vergessen, zwischen was und bleibt so nichts als eine katalogartige Aneinanderreihung klischee-beladener Effekte: kein Bekenntnis – bekenntnishaft eben.
Eine Unisono-Belanglosigkeit für Flöte, Klavier und Schlagzeug unter dem Titel „Struktum“ steuerte der Ostberliner Komponist Lothar Voigtländer bei – wohingegen es von seinem Ex- DDR-Landsmann Thomas Müller ein Streichquartett gab, das leider nicht darüber hinaus gelangte, im ersten Satz die Klangwelten von Nonos Hölderlin-Quartett und in den restlichen dreien die Glissandi-Techniken aus Xenakis erstem Streichquartett von 1962 schal aufzuwärmen.
Entschädigend für das bis dahin Gehörte waren nur die beiden letzten Stücke: Rainer Rubbert, der Youngster in der Runde, steuerte ein Klavierquintett bei, das, in der Kombination von Brahms-artig dichtgeführtem Satz und expressiver Gestik mit interpunktierenden präparierten Klavierklängen, stilistisch Eigenständigkeit bewies; Siebert hingegen sorgte mit einer lustigen, bisweilen tänzerischen, allerdings weder kritischen noch sarkastischen, dafür aber kompositionstechnisch versierten Zitatencollage für den versöhnlichen Ausklang des Abends.
Das aus jungen Musikern bestehende „Universal Ensemble Berlin“ unter der Leitung Gerald aber spielte tadellos und engagiert, versuchte interpretatorisch zu retten, was zu retten war. Und wer mag ihnen schon vorwerfen, was einst notgedrungen der Leitspruch diverser Bänkelsänger gewesen: „Wes Brot ich freß', des Lied ich sing“. Fred Freytag
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