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■ StandbildKundalini und Birkenstock

„Bhagwans Erben“, Do., 22.55 Uhr, West 3

Der glatzköpfige Silberbart mit dem Rolls-Royce-Fuhrpark verstarb am 19. Jannuar 1990. Wie sehr unser heutiger öko-esoterischer Irrationalismus von dem indischen Meditations-Guru Bhagwan Shree Rajneesh durchdrungen ist, macht man sich selten klar. Eine verschlungene, aber lückenlose Kausalkette führt von Bhagwan bis zu Joschka Fischer, von der Kundalini-Meditation bis zu den Birkenstockschuhen.

Ende der siebziger Jahre kam die Sekte erstmals in die Massenmedien, weil ein Reporter der Illustrierten Stern von einer Poona-Reportage nicht mehr zurückkehrte. In Folge dieser genialen Publicity bekam der Bhagwan-Verein hierzulande zahlreiche Mitglieder. Heute, aus etwa eineinhalb Jahrzehnten Distanz, ist die Frage nach den Grundlagen des Bhagwan-Erfolgs immer noch interessant. M. Kaimeires und C. Weisers Reportage „Bhagwans Erben“ stellen sich dieser Frage leider nur am Rande. Im Zentrum ihres Films steht vielmehr das Wiederaufblühen der Bewegung in Köln, Holland und St. Petersburg.

Die Sprüche der interviewten Sanyassins (= Bhagwan-SchülerInnen) sind heute noch ebenso stereotyp wie gestern. Auch die Bilder von lachenden, weinenden, schreienden und meditierenden Ashrambesuchern könnten aus einem Film stammen, der zu Beginn der achtziger Jahre fassungslose Eltern vom Treiben ihrer mißratenen Kinder informierte.

Keine Analyse. Der historische Abriß der Bewegung bleibt marginal. Hätten die Filmer doch zumindest den Versuch unternommen, Hypothesen zu formulieren. Wie konnte nach der antiautoritären 68er-Bewegung plötzlich ein autoritärer Guru angebetet werden? Was waren die Gründe dafür, daß sich restriktive Herrschaftsstrukturen so durchzusetzen vermochten? Warum definierte man sich unter Bhagwans Anleitung plötzlich als heilsbedürftige Seele, die darunter litt, ihre Gefühle nicht „rauslassen“ zu können? Warum ist das Bhagwan-Diktum, unablässig sein individuelles Seelenheil durch permanente Katharsis zu reproduzieren, die Verlagerung kapitalistischer Warenproduktion in den Bereich der Psyche?

Fragen wie diese wurden weder formuliert, geschweige denn beantwortet. Wenn man einem Phänomen schon nicht mehr im dritten Programm differenziert begegnen kann, wo denn? Manfred Riepe

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