: Bilderbogen aus der Kaiserzeit
■ Eröffnung der Ausstellung "Das Schloß?" hinter der Plastikkulisse läuft nicht ohne Pannen ab / Alternative Entwürfe der Architekten enttäuschen / Entmottete Uniformen Wilhelms II. als Renner?
Pleiten beim Stoffschloß! Kaum eröffnet, erleidet die Plaste-Ausstellung „Das Schloß?“ am Marx- Engels-Platz erste Pannen. Die geplante Spiegelwand vor dem Palast der Republik, vermeldete gestern Wilhelm von Boddien, Chef des „Fördervereins Berliner Stadtschloß“, sei „leider“ noch nicht fertiggestellt. Ein Blick auf sechs Spiegelreste verriet, warum: Die reflektierenden Flächen verzerren die Ansicht. Das verdoppelte Stoffschloß erscheint als Karikatur aus dem Spiegelkabinett.
Patzer auch im Ausstellungszelt. Leuchten wurden falsch gesetzt, die Bilderbogen der Kaiserfamilie lieblos auf eine Holzplatte genagelt, Zementabgüsse riesiger Hermen liegen zersägt in dunklen Durchgängen. Entmottete Uniformen und Geschichten vom „schweren Tageswerk“ Kaiser Wilhelms lassen da kaum feudale Atmosphäre aufkommen. Als Pech erweisen sich schließlich die „modernen“ Entwürfe von sieben sogenannten Stararchitekten, die eingeladen waren, Alternativen zum Schloß vorzuschlagen. Die Planungen etwa von Peter Wilson oder Hans Kollhoff zeigen keine Wege zu neuen Lösungen.
Für Wilhelm von Boddien indessen blieb die gestrige Eröffnung der 100-Tage-Schau „ein glücklicher Tag“. Die Ausstellung, betonte von Boddien im zum Bierzelt verwandelten „Schloßhof“, präsentiere ein verlorenes Stück Berliner Geschichte, das in Zeiten der Erneuerung Möglichkeiten der baulichen Gestaltung aufzeige. Das Stadtschloß bilde für ihn „die Meßlatte“, an der sich jede zukünftige Planung zu orientieren habe. Die „Simulation“, ergänzte von Boddien, verdeutliche die „Kraft des Ursprünglichen“. Der Schloßkopierer betonte, daß nicht „ein paar Fachleute“ über die Bebauung des Marx-Engels-Platzes entscheiden dürften. Über den „Hauptplatz Berlins“ müßte die Berliner Bevölkerung abstimmen. Für den Herbst plant von Boddien ein Symposion zur Auswertung des Stimmenfangs.
Gegen ein „Verschwinden des Schloßgedächtnisses“ sprach sich auch Ausstellungsideengeber Gerd Peschgen aus. Es sei an der Zeit, so der Hamburger Hochschullehrer, das „Symbol Preußendeutschlands“ und den „Angelpunkt des barocken Berlins“ zu rekonstruieren. Die Schlütersche Schloßfassade, die die Pariser Künstlerin Cathérine Feff auf 40 Stoffbahnen maßstabsgetreu abbildete, sei der Beginn einer Erinnerung, die wiedererstehen müsse. Dem simplen Konservatismus der Initiatoren des Vier-Millionen- Mark-Spektakels, das mit privaten Geldern aus der Industrie und Wirtschaft finanziert wird, setzten die Architekten keine zukunftsweisenden Modelle entgegen. Im Wettbewerb mit Schlüters Schloßbau verlieren sie infolge ihrer Unmaßstäblichkeit. Statt überlegter Planungen machten sie sich zu Fürsprechern unverständlicher Visionen, die nicht gerade Argumente gegen das Schloß darstellen. Die Ausstellung ist bis 10.10. täglich von 10 bis 22 Uhr zu sehen. Rolf Lautenschläger
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