: Im somalischen Sumpf
Die Bewohner der Hauptstadt Somalias leben wieder einmal zwischen zwei Fronten. Die eine Front ist die UNO – aber wer ist die andere? ■ Aus Mogadischu Bettina Gaus
Die UNO-Truppen in Mogadischu hinterlassen Spuren. Leere Trinkwasserflaschen aus Plastik übersäen die Straßen der somalischen Hauptstadt. Wenn ein Auto darüberfährt, zerplatzen sie knallend. Es klingt wie ein Schuß. Irgendeiner zuckt immer zusammen, irgendein anderer lacht.
Die Nervosität ist groß. Jede Fensterhöhle der Ruinenstadt kann zur Schießscharte des Feindes werden. Und fast jeder kann ein Feind sein: „Sprechen Sie leise“, warnt ein islamischer Scheich, der nicht namentlich genannt werden möchte. Er sitzt mit Freunden und Verwandten in einem kleinen Raum seines Hauses. Es liegt in einer der schmalen, hohen Gassen der Altstadt, die für Autos zu eng sind, in jenem Teil Mogadischus, der den ganzen Bürgerkrieg hindurch ein Labyrinth verfeindeter Gruppen, Clans, Banden und Familien gewesen ist. Ein Mann steht auf und öffnet blitzschnell die Tür zum dunklen Korridor: „Hier warten viele, die den Scheich sprechen wollen“, erklärt er. „Jeder kann ein Spion sein. Wir müssen sichergehen, daß niemand lauscht.“
Dann flüstert der Sheik: „Hier hat in der letzten Nacht vor Angst kaum jemand geschlafen. Die Italiener haben gestern abend den militärischen Kontrollpunkt an der Bank aufgegeben, und sofort haben die Plünderungen wieder angefangen.“
Die Gegend im Herzen der Stadt um die ausgebrannte Kathedrale, das geplünderte Nationalmuseum und die verwüstete Zentralbank, ist seit langem das Jagdrevier gewalttätiger Räuberbanden, die weder von ihrem Clan noch von einer politischen Gruppierung mehr kontrolliert werden können. Hier verläuft die unsichtbare Grenze zwischen dem nördlich gelegenen Territorium von Interimspräsident Ali Mahdi und dem weit größeren, politisch zersplitterten Südteil Mogadischus, in dem General Farrah Aidid residiert. Mehr als ein halbes Jahr nach Ankunft der ersten ausländischen Truppen in Somalia ist es den Militärs bisher nicht gelungen, die gefährliche Mischung aus Gewalt und Mißtrauen auch nur hier in der Innenstadt unter Kontrolle zu bringen.
Der Schaden, der aus dem sicheren Hinterhalt angerichtet werden kann, ist groß. In der Nacht zum Samstag wurde ein US-Frachtschiff im Hafen von Mogadischu mit Artillerie beschossen. „Das Feuer kam von dort“, erklärt Kapitän John Withers und zeigt auf die mächtigen Türme der Kathedrale. 108.000 Tonnen Treibstoff hatte der Tanker geladen. Ein Geschoß riß ein zehn Zentimeter breites Loch in die Bordwand – nur knappe drei Meter von der Stelle entfernt, wo explosive Stoffe gelagert waren. „Wenn das Schiff hochgegangen wäre, hätte es den ganzen Hafen mit in die Luft gejagt“, sagt der Kapitän, und er fügt verbittert hinzu: „Die UNO weiß nichts, die Somalis wissen alles. Am Abend vor dem Angriff sind alle Hafenarbeiter früher als sonst nach Hause gegangen. Sie waren müde, haben sie gesagt.“
Wieviel weiß die Bevölkerung Mogadischus von dem, was in ihrer Stadt vorgeht? In der überreizten, angespannten Atmosphäre werden Gerüchte verbreitet – und geglaubt. Für den nächtlichen Angriff im Hafen suchen Gesprächspartner stets Schuldige außerhalb der eigenen Reihen: islamische Fundamentalisten werden ebenso verdächtigt wie Gruppen, die mit Geschäften am Krieg verdienen oder Anhänger von General Farrah Aidid. Ihn hält die UNO für das Haupthindernis bei der Suche nach Frieden und für den Drahtzieher des Massakers an 23 pakistanischen Soldaten am 5. Juni. Das Blutbad war der Anfang einer neuen Eskalation der Gewalt in Mogadischu: US-Truppen bombardierten Häuser und Warenlager von Aidid und seinem Geldgeber Osman Atto, pakistanische Soldaten feuerten auf Demonstranten. In dieser Woche starben zwei UNO-Soldaten durch Kugeln aus dem Hinterhalt.
Ein böser Spruch macht die Runde: UNO-Beauftragter Admiral Howe ist der warlord der UNO- Bürgerkriegsfraktion. „Der Haß von 85 Prozent der Bevölkerung auf die UNO wächst jeden Tag. Jetzt wird Aidid auch von Leuten unterstützt, die früher seine Feinde waren. Er gewinnt an Boden“, sagt Hassan Sheik Mohamed von der islamischen Hilfsorganisation IIRO. Er meint, einige hohe UNO- Beamte gehörten ins Gefängnis – und alle somalischen Kriegführer vor Gericht: „Aber solange alle Schuld nur einer einzigen Person zugeschoben wird und alle anderen ungeschoren davonkommen, spitzen sich die Konflikte weiter zu.“ Ist seine eigene Organisation an dem Konflikt gänzlich unbeteiligt? Ihr werden Kontakte zu militanten Islamisten nachgesagt – und in der Stadt kursiert ein Flugblatt, in dem eine „Muslimische Bruderschaft“ die Ermordung von 1.500 Amerikanern in- und außerhalb Somalias androht. „Diese Gruppe existiert nicht. Das ist alles erfunden“, behauptet Hassan Sheik Mohamed. Auch Osman Abdalla Babirer von der sudanesischen Botschaft, dessen Regierung in- und ausländischen Quellen zufolge Islamisten militärische Hilfe leisten soll, bestreitet vehement: „Es gibt keinen Kontakt zwischen uns und Fundamentalisten.“
Niemand gibt Verbindungen zu Islamisten zu – aber viele sprechen von ihrem wachsenden Einfluß. Die UNO-Truppen dagegen haben ihr Ansehen auch bei vielen Somalis eingebüßt, die vor einem halben Jahr die Militärintervention in dem bürgerkriegszerrissenen, von einer schweren Hungersnot heimgesuchten Land jubelnd begrüßt hatten. Hassan Omar D'Heghey, ehemaliger Rechtsanwalt und Universitätsdozent in Mogadischu, gehörte damals zu ihnen. Heute sagt er traurig: „Jetzt ist es für den friedlichen Dialog zu spät. Die Straße der Gewalt wird nun bis zum Ende gegangen werden“. Er glaubt nicht mehr an eine politische Lösung in naher Zukunft: „Ich kann mir nur noch eine neue Form der Kolonialisierung unter einer anderen Bezeichnung vorstellen. Die Somalis sind im Augenblick nicht reif dafür, sich selbst zu regieren.“
Somalia als offizielles Protektorat der UNO – das ist eine der Möglichkeiten, die gegenwärtig in Mogadischu diskutiert werden. Elf politische Organisationen sind am 22. Juni in der Hauptstadt zusammengekommen und haben die UNO schriftlich aufgefordert, „alle öffentlichen Aktiva und Gebäude innerhalb und außerhalb Somalias“ zu übernehmen. Wäre die UNO dazu auch nur theoretisch in der Lage? Von dem Ziel, Frieden zu schaffen, ist die Realität weit entfernt. Und viele Entscheidungen der UNO-Verantwortlichen sind schwer verständlich. Aidid gilt offiziell als gesuchter Verbrecher. Aber wollen die UNO-Truppen seiner wirklich habhaft werden? Journalisten bereitet es wenig Mühe, sich von ihm zum Gespräch empfangen zu lassen. Und da sollten mehr als 18.000 ausländische Soldaten nicht in der Lage sein, ihn zu finden?
„Ich bin sicher, daß die UNO Aidid nur schikanieren will, nicht aber ihn fangen. Wenn sie ihn festsetzen, gibt es ein Blutbad, und darauf ist sie nicht vorbereitet“, sagt Aidids Freund Osman Atto. Er will wegen der Bombardierung seines Grundstücks das Pentagon verklagen. Mit seinem dreijährigen Sohn wandert er in den Trümmern seiner Werkstatt herum. Schaufelbagger, Lastwagen, Ersatzteile für Autos, Bulldozer und Generatoren lassen sich in den verglühten Metallklumpen noch erkennen. Zerstörtes militärisches Gerät ist nicht zu sehen. Wurde alles weggeschaft – oder ist wirklich, wie Osman Atto behauptet, hier eine rein zivile Einrichtung zerstört worden? „Unosom ist jetzt eine der Bürgerkriegsparteien“, sagt er. „Das rechtfertigt Aktionen gegen sie.“ Den UNO-Soldaten ist anzumerken, daß sie sich der Gefahr bewußt sind, in der sie schweben. Mit starren Gesichtern sitzen sie in ihren Militärfahrzeugen oder stehen vor Stacheldrahtbarrikaden am Straßenrand. Jeder Muskel ist angespannt, das Gewehr wird in Anschlag gebracht, wenn sich ein Auto nähert, das auf Waffen untersucht werden muß. In einiger Entfernung der Kontrollpunkte stehen Somalis, die das Geschehen beobachten. Ein unsichtbarer Graben verläuft zwischen Soldaten und Bevölkerung: Gespräche und Scherze, Alltag noch vor wenigen Monaten, werden nicht mehr ausgetauscht.
„Es ist verrückt, ausgerechnet die Pakistani weiter in Mogadischu operieren zu lassen. Auf sie richtet sich nun wirklich die ganze Feindseligkeit. Aber die UNO ist eben nicht einmal technisch in der Lage, die Sache in den Griff zu bekommen“, meint Faduma Ahmed Alim, Parlamentsabgeordnete unter dem gestürzten Präsidenten Siad Barre und Delegierte auf der Friedenskonferenz im März in Addis Abeba. Sie gehört zum Clan der Habr Gedir, ebenso wie Aidid. Aber sie zählt sich nicht zu seinen Anhängerinnen: „Ich will weder ihn noch Ali Mahdi. Keiner hat dem Volk gedient, für keinen habe ich gestimmt. Alles, was passiert ist, haben die jetzigen Führer zu verantworten. Wer zerstört hat, kann nicht aufbauen.“
Wer kann dann aufbauen? Die meisten Gesprächspartner flüchten sich in allgemeine Empfehlungen, wie die Notwendigkeit, auf „Intellektuelle, Frauen und Älteste“ zu hören. In einer „Rückkehr zum Dialog aller Beteiligten ohne allzu große Personalisierung der ganzen Angelegenheit“, sieht Abdullahi Sheik Ismail den einzigen Ausweg aus der Krise. „Seit die UNO nach Somalia gekommen ist, hat es keine gemeinsame Plattform der allgemeinen Beratung gegeben. Es haben immer nur Einzelkonsultationen stattgefunden. Das ist überhaupt nicht gesund, das muß zwangsläufig zu Gerüchten führen.“ Ein regelmäßiges Forum aller Beteiligten sei notwendig, um die Kommunikation wieder in Gang zu bringen. „Sonst geht es so weiter wie jetzt, wo viele versuchen, im trüben zu fischen.“
Daß seine Anregung Gehör finden könnte, glaubt Abdullahi Sheik Ismail allerdings selbst nicht, obwohl er erst vor wenigen Tagen ein ausführliches Gespräch mit dem UN-Sonderbeauftragten Jonathan Howe geführt hat.
Seine Einschätzung teilen in Mogadischu viele, die sich sonst mit Abdullahi Sheik Ismail wohl nur über wenige politische Fragen verständigen könnten. Die Somalis stehen als Ratgeber in eigenen Angelegenheiten bei der UNO derzeit nicht hoch im Kurs.
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