: Ortskundeprüfung
Im Zickzack durch die Stadt: Wenn einer winkt, winkt man freundlich zurück. Als Taxifahrer auf dem kürzesten Weg zur Teufelseestraße ■ Von Fritz v. Klinggräff
Fahrgäste sind gemein oder doof. Sie pöbeln „Ne Stadtrundfahrt hatte ich nich vor“ und murmeln „Man kann ja nich jede Straße kenn'“.
Mit dem Stadtplan ist es wie mit dem Wissen: Ein Merkbild kann man sich nicht merken, aber ohne es gibt's kein Erinnern. Ich weiß alles. Aber wie erinnere ich mich daran? Den Plan kenne ich natürlich. Lassen wir die Fahrgäste also außen vor? Nein. Die kennen ihre Route, sitzen in meinem Nacken und plappern und plappern. Ohne Besetzung läuft alles besser, nur der Taxameter steht still. Mein Chef erzählt was von Energieverschwendung und schlechtem Kilometerschnitt.
Um sich die Karte zu merken, muß man sie entflechten. Bis zur Verblödung Verknüpfungen üben. Den Plan vor dem inneren Auge, bezwingt der Kandidat die potentiell unendliche Rede der Zielfahrten. Seidelstraße, Scharnweberstraße, (Kurt-Schumacher-Platz) Müllerstraße, (Leopoldplatz, Courbiereplatz, Weddingplatz) Chausseestraße, Oranienburger Tor, Friedrichstraße, (Bert- Brecht-Platz) Franz-Klühs-Straße, Lindenstraße, Zossener Straße, Bergmannstraße, Marheinekeplatz, Friesenstraße, Jüterboger Straße. Das war korrekt (Zielfahrt 24.1, Justizvollzugsanstalt Tegel nach KFZ-Zulassungsstelle).
Der Gebrauch der Karte besteht in der kürzesten Verbindung zweier Punkte. Als ich den Taxischein machte, träumte ich nur noch Topographe. Essen, Trinken, die Arbeit, die Uni, der Spaß: alles auf kürzestem Weg. Das wirst du nicht mehr los. Taxi fahrend, wird die Stadt zum aufge(sc)hobenen Geheimnis. Nur das Warten an der Taxihalte hat noch Power. An der Bukow-Halte kannst du dich auch als vierter hinten anstellen. Da arbeitet die Zeit für dich. Es gibt Mini-Pizza und seltengewordene Eissorten. Mit Glück stehst du, wenn du zurück bist, schon an erster Stelle, die Kollegen toben, und du machst dich mit deiner Besetzung davon.
„Die Zielfahrten hatte ich mir ins Kurzzeitgedächtnis gepaukt, sechs Wochen lang, täglich acht Stunden, in der Prüfung kam ich stotternd nach der Zusatzfrage ans Ziel. Da hat sich nur wenig geändert. Den besten Weg erfrage und -fahre ich mir unterwegs, in der kurzfristigen Erregung am je nächsten Verkehrsknotenpunkt. Das hat auch Vorteile. Bei mir ist der Kunde noch König. Seine Lieblingsstrecke ist auch die meine. Diese fällt, wie könnte es anders sein, selten zusammen mit dem kürzesten Weg.“
Was vom „ganz geheimen Taxi- Lehrbuch zur Vorbereitung auf die Ortskundeprüfung beim Landeseinwohneramt (LEA) Berlin“ im Gedächtnis bleibt, ist vor allem ein Haufen knallroter Hinweisschilder: „Nachdruck verboten!“. Nachdruck, Vervielfältigung in jeder Form bedarf der Genehmigung durch die Logo Taxi GmbH. Wer, frage ich, sollte da noch den Mut zum Erinnern haben?
Ohne eine erste Ahnung des Ganzen kommt keiner in die Gänge. Danach vollendet man, was man sich eingebrockt hat. Wer dabei freundlich bleibt, wird über Tarif entlohnt. Dienstleistung eben. Fritz v. Klinggräff
Das ganz geheime Taxilehrbuch zur Vorbereitung auf die Ortskundeprüfung beim Landeseinwohneramt (LEA) Berlin. Erhältlich bei: Taxifernschule der Logo Taxi GmbH, Grunewaldstraße, 82, 1/62.
Preis 79 DM (bei bestandener Prüfung und anschließender Verdingung bei Logo Taxi gibt's eine Rückvergütung von 300 DM).
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