piwik no script img

Blocos Afros

Olodum und andere brasilianische Kulturgruppen arbeiten an der Reafrikanisierung des Karnevals  ■ Von Petra Schaeber

Jeden Sonntag ab acht Uhr abends ist der Pelourinho im Zentrum der Altstadt Salvadors so voll, daß man nur noch drängelnd durchkommt. Hunderte, manchmal mehrere tausend Menschen tanzen auf dem abschüssigen Platz mit dem buckeligen Kopfsteinpflaster – in dessen Mitte stand früher der Schandpfahl, an dem die Sklaven ausgepeitscht wurden.

Die ehemals heruntergekommenen Bürgerhäuser rund um den Platz sind heute wieder farbig restauriert, genau wie die blaue, von Sklaven erbaute Kirche Rosário dos Petros. Jeden Sonntagabend probt hier Olodum, der Bekannteste der Blocos Afros aus der Stadt an der Allerheiligenbucht im Nordosten Brasiliens.

Ein Dutzend Jungs – manchmal auch ein Mädchen – sind es, die von ihrem Meister Neguinho do Samba an den Trommeln dirigiert werden. Samba-Reggae, hat jemand die Musik genannt, doch es ist viel mehr als Samba und Reggae: Mit dünnen Gerten schlagen sie hart auf die Trommeln, die Repiques und Caixas, daß die klingen wie die Atabaques, die großen, mit Ziegenfell bespannten Holztrommeln bei den Candomblé-Festen in den afro-brasilianischen Tempeln: prasselnd, wie Regentropfen auf ein Blechdach. Die afrikanischen Rhythmen mischen sie mit dem etwas schleppenden Reggae, aber auch mit anderen karibischen Rhythmen, wie Salsa, Merengue oder Rumba. Darunter legen sie den tiefen Wechselbaß der Surdos, der Baßtrommeln, die manchmal wie beim Samba klingen.

Auf einer improvisierten Metallbühne wechseln sich die Sänger ab, probieren ihre neu komponierten Lieder aus, konkurrieren mit ihren Stimmen über die voll aufgedrehte Anlage. Ab und zu spielt Bira Reis, der Arrangeur und Instrumentalist Olodums, sein Saxophon dazu. Den Chor singen die Menschen auf dem Platz. Ständig finden sich Gruppen von Tanzenden zu spontanen Choreographien zusammen. Jungs in bunten Bermudas und Träger-T-Shirts oder mit nacktem Oberkörper, das T- Shirt um den Kopf gewickelt, schleudern ihre Arme wie beim afro-brasilianischen Kampftanz Capoeira im Bogen nach vorne, knicken in den Knien ein, drehen den Oberkörper nach beiden Seiten. Herausgeputzte Paare stehen umschlungen in der Menge. Taschendiebe versuchen ihr Glück. Ein paar Touristen ragen weiß und groß aus den Tanzenden heraus. Ab und zu gibt es Schlägereien, dann stoppt der Vortrommler die Musik, und die Sänger versuchen, die Streithähne zu besänftigen.

Kurz vor Mitternacht gibt der Musik-Meister der Gruppe ein Zeichen, und Olodum verschwindet, immer noch trommelnd, in einer Seitengasse. Wenig später gehört der verlassene Pelourinho wieder den Katzen und den letzten Spätheimkehrern aus dem Viertel.

Populär wie Fußball oder Capoeira

Olodum ist nicht nur musikalisch der erfolgreichste Bloco Afro in Brasilien, sondern auch die am eindeutigsten politisch definierte „schwarze“ Karneval- und Kulturgruppe. Die Aktivitäten der Grupo Cultural Olodum, die 1979 im „größten Barock-Slum der Welt“, dem Maciel-/Pelourinho- Viertel in Salvadors Altstadt, gegründet wurde, gehen heute weit über die einer Karnevalgruppe hinaus. Während die Banda de Olodum, die Musikgruppe Olodums, in Brasilien und im Ausland auf Tournee geht, werden zu Hause unermüdlich neue Musiken komponiert, geschrieben und produziert. Thematischer Hintergrund fast aller Lieder ist der Kampf gegen den Rassismus und die Identifizierung mit der eigenen, afrikanischen Herkunft.

Über vier Jahrhunderte war Salvador Eingangstor für Millionen afrikanischer Sklaven, die von den Portugiesen nach Brasilien verschleppt wurden. Heute haben über 80 Prozent der Einwohner Salvadors eine dunkle bis schwarze Hautfarbe. Dennoch sind auch in der „afrikanischsten“ Stadt Brasiliens die sozialen Unterschiede zwischen Weißen und Schwarzen deutlich sichtbar und gehört ein – oft subtiler – Rassismus zum Alltag. Das Maciel-/Pelourinho- Viertel war bis vor kurzem ein von staatlichen Stellen aufgegebenes „schwarzes Getto“ mit einer hohen Kriminalitätsrate, Prostitution und Drogenproblemen.

„Eines unserer ersten Anliegen war es, die Kinder von der Straße zu holen“, erzählt Joao Jorge, Präsident von Olodum. „Nicht die staatlichen Stellen zu ersetzen, sondern kulturelle Aktivitäten anzubieten und politisch zu arbeiten.“ In der Escola Criativa von Olodum lernen die Kinder das ganze Jahr über trommeln, tanzen und singen, spielen Theater, fabrizieren Masken, erfahren vieles über die „schwarze“ Geschichte Brasiliens, was nicht in den Schulbüchern steht. Über tausend Kinder sind im Karneval mit der Banda Mirim, der Kindergruppe von Olodum, durch die Straßen gezogen. In der „Fabrica do Carneval“ genannten Produktionsstätte sollen 350 Menschen in der Produktion von Karnevalskostümen und T-Shirts beschäftigt werden – die meisten aus dem Viertel.

In letzter Zeit ist das „schwarze“ Getto Maciel-/Pelourinho auch bei den weißen Mittelklasse-Jugendlichen in Mode gekommen, die dienstags und sonntags die Proben Olodums besuchen und in den Bars und an den aufgebauten Verkaufsständen Bier und Cravinho, mit Nelken versetzten Zuckerrohrschnaps, trinken.

Überall in Brasilien entstehen jetzt Blocos, die für die schwarzen Jugendlichen ähnlich attraktiv geworden sind wie sonst nur Fußball oder Capoeira. Und immer mehr Gruppen, die vor kurzem noch Samba gespielt haben, gehen heute dazu über, Samba-Reggae zu spielen.

Reafrikanisierung des Karnevals

Mit dem Bloco Afro Ilê Aiyê aus dem Stadtteil Liberdade – einem dichtbewohnten armen Viertel Salvadors, das aus einer ehemaligen Sklavenfluchtburg, einem Quilombo, entstanden ist – hatte 1975 die Reafrikanisierung des bahianischen Karnevals begonnen: Kunstvolle, mit Muscheln geschmückte Flechtfrisuren statt der üblichen glattgezogenen Haare, bunt bedruckte Stoffe, zu weiten afrikanischen Gewändern verarbeitet, statt Pailetten und Straußenfedern, weg von der standardisierten Samba-Karnevalmusik, die in Salvador genau wie in Rio gespielt wurde. Schwarze Schönheit und Werte sollten auf der Straße gezeigt werden – unabhängig von weißen Schönheitsidealen und Denkmustern. Von Anfang an durften bei Ilê keine weißen Mitglieder am Karnevalsumzug teilnehmen.

Jeder der Blocos Afros, die sich in Salvador gründeten, entwickelte seinen eigenen Stil – musikalisch, politisch, kulturell. Für die Guerilheiros da Jamaica, die Krieger Jamaicas, des Bloco Afro Muzenza ist Reggae Musik und Message zugleich und Bob Marley das Idol. Der Bloco Afro Ara Ketu kommt aus Periperi, einem Industriegebiet an der Bahia de Todos os Santos, und er war zu Beginn musikalisch und inhaltlich stark am Candomblè orientiert. Seit ein paar Jahren spielt Ara Ketu eine ganz andere Musik: die Trommelgruppen wurden reduziert und die Gruppe durch Gitarre, Baß und Bläser erweitert. Die Musik ähnelt jetzt der einer Popgruppe aus dem südlichen Afrika.

In Bahia ist in den letzten Jahren ein eigener Musikmarkt mit Aufnahme- und Mischstudios entstanden. 1992 wurden allein in den zehn Studios in Salvador 150 Platten aufgenommen, die zusammen rund fünfmillionenmal im Bundesstaat verkauft wurden. Von hier gingen immer wieder wichtige Impulse für die Música Popular Brasileira, MPB genannt, aus: Seit den achtziger Jahren sind es die Musiker und Komponisten der Blocos Afros und Reggae-Gruppen – die „Axé-Music“, wie sie im Südosten genannt wird – in den sechziger Jahren waren es die Tropicalisten, allen voran Gilberto Gil und Caetano Veloso. Dennoch ist gerade die bahianische Musik von dem absurden Mechanismus betroffen, daß brasilianische Musik und Interpreten erst nachdem sie im Ausland bekannt geworden sind, bei Plattenfirmen und Publikum im tonangebenden Südosten Brasiliens Erfolg haben. Auch der Durchbruch Olodums kam erst, nachdem der Amerikaner Paul Simon mit der Gruppe seinen Hit „Rhythm of the Saints“ aufgenommen hatte.

Einzige Ausnahme: Daniela Mercury, „die weiße Muse der Axé-Music“, wie sie von den Medien bezeichnet wird. Daniela Mercury ist 1992 zum Star und Symbol der bahianischen Musik geworden – vor allem im überwiegend weißen Südosten Brasiliens. Sie interpretiert die Lieder der Komponisten der Blocos Afros, vor allem des Bloco Afro Ilê Aiyê – heraus kommt dabei poppige, leicht zu konsumierende Tanzmusik.

Jedes Jahr entstehen in Bahia neue Musik- und Tanzstile, die teilweise nur eine Karnevalssaison Erfolg haben, teilweise stilprägend werden. Carlinhos Brown, 30 Jahre, bahianischer Perkussionist, Sänger und Komponist ist dieses Jahr auf einen Schlag zum Star unter Brasiliens Musikern geworden: Die Timbalada, seine 80köpfige Trommel-Big-Band, eine „Mischung aus High-Tech und Primitivem“ (Brown), ist seit Monaten mit ihrem Hit „Canto pro Mar“ in allen Charts – obwohl es das Lied noch gar nicht auf Platte gibt.

Das Beste von Brasilien

Ihre Trommeln sind bunt angemalt, und auch auf ihre Körper haben sie mit weißer Farbe seltsame Muster aus Linien, Kreisen und Punkten gezeichnet. Die weiteren Accessoires: dunkle, poppige Sonnenbrillen, ausgerissene Bermudas, Turnschuhe, um Schienbein und Handgelenk gewickelte Stoffetzen und Baseballmützen. Die Hälfte der Timbaleiros spielt Timbals, hohe, konische Trommeln, die bei ihnen wuchtig klingen wie westafrikanische Djembés. Dazwischen Reihen von Perkussionisten mit Agôgos und Cow-Bells, andere mit kleinen Trommeln, die sie mit langen Gerten bearbeiten. Dahinter Jungs mit faßgroßen Surdos, den Marschpauken. Die Rhythmen mischen sich zu einer Musik aus Samba, Rap und Funk, aus karibischem Merengue und Socca, aus Marsch- und Candomblé- Rhythmen – Musik aus einem tropischen Mixer. „Meine Musik soll Spaß machen, das Beste von Brasilien zeigen“, sagt Carlinhos Brown. „Wir machen Popmusik und nicht stereotype Ethnomusik, die unsere Armut demonstrieren soll.“

Ein kauziger, alter Mann mit Muskelshirt und kahlgeschorenem Kopf klettert eine Leiter hinauf, die an einem ungefähr drei Meter hohen Atabaque lehnt, der Trommel mit der im Candomblé die Götter gerufen werden. Der kauzige Alte, Fia Luma, „einer der Meister der Straßen Bahias“, singt zu den tiefen, aufwühlenden Tönen aus demn Atabaque in einem Kauderwelsch aus Yorubá und Portugiesisch – eine schräge Mischung aus Candomblé-Priester und alkoholischem Blues-Sänger.

„Die Timbalada ist ein Betrieb der Volksunterhaltung. Kein Afrika, keine Protestmusik“, sagt Carlinhos Brown, der im Candeal Pequeno de Brotas, einem der ärmeren Viertel Salvadors, aufgewachsen ist. Brown, der seinen Namen vom Vorbild James Brown übernommen hat, ist auf Hunderten von LPs als Musiker zu hören, 125 seiner Kompositionen haben andere eingespielt. Letztes Jahr hat Bill Laswell in den USA zusammen mit Brown, Olodum und den Jazzern Wayne Shorter und Herbie Hancock eine Platte aufgenommen. Den Grammy für World-Music hat dieses Jahr der Brasilianer Sergio Mendes für eine Platte mit fünf Stücken von Brown bekommen.

Brown will aber kein perkussiver Exot auf den Musikmärkten der Metropolen im Norden sein. „World Music ist ein aggressives, falsches Etikett für alle Musiken der Welt – solange sie nicht amerikanisch sind“, sagt Brown. „Der Ausdruck World Music klingt wie eine zahnlose, wabbelige Sache, wie eine Sache der Armen. Das hat mit unserer Musik nichts zu tun.“

Olodum treten morgen und übermorgen zusammen mit Zap Mama und Vinx beim Festival „Africa meets America“ im Berliner Tempodrom auf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen