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„Wie gegen eine Gummiwand“

Affäre Vöcking: In der SPD wächst der Unmut, weil die Partei Kanzler Kohl allzu ungeschoren lasse / Bündnis 90/Die Grünen übernimmt die Oppositionsrolle  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz sitzt in seinem Büro im 22. Stockwerk des Langen Eugen und ringt mit den Händen. „Opposition ist Opposition: Wir müssen angreifen“, sagt er. „Aber das tun wir hier nicht, obwohl ein hochrangiger Beamter Schweinereien gemacht hat.“ Wiefelspütz ist nicht der einzige Bonner Sozialdemokrat, der das Verhalten seiner Fraktionsführung in den letzten zwei Wochen nicht mehr verstanden hat. Sein Fraktionskollege Uwe Lambinus hatte bereits das Gefühl, in der eigenen Fraktion „gegen eine Gummiwand“ zu rennen, wenn er eine schärfere Gangart gegen Kanzler Helmut Kohl verlangte. Es geht um den Fall Vöcking – eigentlich eine Kanzleraffäre. Manche Sozialdemokraten sahen darin in den letzten Tagen schon einen Fall SPD.

Die „Schweinerei“, um die es geht, ist in ihrem Kern seit dem 16.Juni bewiesen. An diesem Tag legte Johannes Vöcking, ehedem Leiter der Zentralabteilung im Kanzleramt, im Innenausschuß des Bundestages ein Geständnis ab. Am 2. April 1992, drei Tage vor der Landtagswahl in Kiel, hatte er an eine Springer-Journalistin Geheimdienstinformationen weitergegeben, die geeignet waren, den damaligen SPD-Chef Björn Engholm ins Zwielicht zu rücken. Der Spion (Deckname: „Juras“), der sich demnach in Engholms Umgebung aufhalten sollte, wurde jedoch nie gefunden. Der Spiegel schrieb von „Barscheleien“. Die Zeit sprach von einem „der schlimmsten Fälle von Regierungskriminalität“.

Nicht so die SPD. Ihr parlamentarischer Geschäftsführer Peter Struck handelte Kohl die Versetzung Vöckings in den einstweiligen Ruhestand ab. Aber dann? Es gebe derzeit keine Veranlassung, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, bekräftigte SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose am Mittwoch. Er sehe schlicht „keine Anhaltspunkte“, daß Vöcking auf Anweisung von oben gehandelt habe.

Seit Mittwoch halten Struck und Klose einen Brief von Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) in Händen, in dem Bohl auf Strucks Wunsch Vöckings Einzeltäterschaft schriftlich bestätigt. „Weder der Bundeskanzler“ noch Bohl selbst, noch Staatsminister Bernd Schmidbauer hätten Vöcking „eine Weisung“ erteilt.

Viele SPD-Abgeordnete zweifeln weiter. Sie verweisen auf eine Vöcking-Aussage vor der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK), es habe eine Art „allgemeiner Konsens“ im Kanzleramt bestanden, Schmuddelakten über Engholm weiterzugeben. Nahrung für diesen Verdacht lieferten diese Woche neue Meldungen in Sachen „Juras“: Die CDU habe vor der Kieler Wahl auch Landtagskorrespondenten über den angeblich gegen Engholm bestehenden Verdacht informiert.

Kein Wunder, daß vielen Sozialdemokraten in den letzten Tagen die Abwiegeleien ihrer Fraktionsführung mindestens ebenso rätselhaft waren wie die Motive des Herrn Vöcking. Sei es die Angst vor Stasi-Akten in den Schubladen von Kanzleramtsminister Bernd Schmidbauer? Nein, heißt es in der Fraktionsführung, die SPD brauche sich keine Sorgen zu machen. Es gebe keine geheimnisvollen Akten aus Moskau, nur die seit 1989 laufenden Ermittlungen. Nach bisherigem Stand sei die SPD bundesweit nur in drei Fällen betroffen, „SPD-nahe Journalisten inklusive“.

Was sei es dann, fragten viele Sozialdemokraten. Könnte es die Sorge um Engholms Image sein? „Nein“, Engholm sei ja selbst für eine „offensive Behandlung“ des Themas, sagten dessen Vertraute. Heute wird sich der Bundestag in einer aktuellen Stunde mit der Affäre befassen – nicht auf Antrag der Sozialdemokraten, sondern von Bündnis 90/Grüne. „Die sind in das Loch hineingestoßen, das die SPD hinterlassen hat“, sagt ein Sozi. Die Abgeordnete Cornelie Sonntag bekennt offen: „Ich hätte es besser gefunden, wir hätten das beantragt.“

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