■ Die Sachsen kommen – mit Lebkuchen-Trabis und Kartoffelklößen
: War August der Starke ein kalifornischer Hippie?

Mitten in Mannheim haben die Sachsen ihre Zelte aufgeschlagen. Ihre Strategie: Den Westmarkt mit Spezialitäten aus dem Erzgebirge einnehmen. Ihr Gewährsmann: August der Starke (1670–1733), Kurfürst von Sachsen. Unter diesem klangvollen Namen hat der Unternehmensberater Berndt Rüdiger Paul das erste deutsche Fachgeschäft für „hochwertige Handwerksprodukte und Spezialitäten aus dem ältesten Freistaat Deutschlands“ eröffnet.

Ein derartiges Spezialgeschäft gibt es nicht einmal in Dresden. Auf etwa 80 Quadratmetern findet der Besucher bei „August dem Starken“ in der Mannheimer Lameystraße vor allem traditionelle Handwerksprodukte. Die Produktpalette reicht jedoch darüber hinaus von der topographischen Landkarte bis zum Sachsenvideo, vom Kupferstich bis zum Hackbrett.

Zuerst fällt das Sortiment Bunzlauer Keramik ins Auge, die im sächsischen Pulsnitz gefertigt wird. Ultramarinblau strahlende Tassen, Töpfe und Teller mit gepunktetem Muster. Der Rundgang durch Berndt Rüdiger Pauls Laden ist zugleich eine Lektion in Heimatkunde: Ebenfalls aus Pulsnitz stammt die Technik des „Blaudrucks“. Fein ornamentierte Tischdecken und Tücher, die nach alter handwerklicher Tradition mit einer sogenannten „Druckmodel“ gefertigt – und bei „August dem Starken“ zu erwerben sind. In Pulsnitz hat sich eine Vielzahl alter Handwerkszweige gehalten, die sonst in der DDR kaputtgemacht wurden. Sie ist daher die einzige deutsche Stadt, in der der Beruf des Pfefferküchlers noch offiziell ausgeübt wird. Neun Pfefferküchlermeister bilden dort noch Lehrlinge aus. Als Kostprobe führt „August der Starke“ Lebkuchen-Trabis.

Die Idee, ein Produkt nach August dem Starken zu benennen, hatte vor Berndt Rüdiger Paul übrigens schon ein sächsischer Winzer. Pauls Produktpalette enthält einen Riesling-Sekt, auf dessen Etikett der absolutistische Staatsmann aus dem 18. Jahrhundert abgebildet ist. „Es gibt eben nur einen berühmten Sachsen, den man auch überregional kennt“, sagt Paul, um beiläufig hinzuzufügen, daß dessen beste Eigenschaft war, daß er keinen Krieg angefangen hat. August hat seine Stärke auf anderen Gebieten unter Beweis gestellt. Er war ein Vorläufer kalifornischer Hippies gemäß dem Slogen: Make Love, not War! Je nach Überlieferung hat August zwischen 200 und 365 Kinder gezeugt. Pro Jahr.

Dieses Prinzip der Versöhnung kehrt auch in der weiteren Produktpalette wieder. Nachdem sich der Besucher durch sächsische Kartoffelklöße und zum Nachtisch „Halloren-Kugeln“ – Mozartkugeln aus Sachsen-Anhalt – durchgeschlemmt hat, befriedet ein original „Radeberger Bitter“ die Magenwände: der Ost-Fernet- Branca.

Im Oktober vergangenen Jahres hat Paul seinen Laden eröffnet und ist vor kurzem erst in die Geschäftsräume Lamey-/ Ecke Berliner Straße umgezogen. Die Eröffnung von zwei weiteren Filialen in Tübingen und Stuttgart steht unmittelbar bevor.

Die ausgefallene Produktmischung wird durch Freiberger Pils und Vogtländer Jagdwurst ergänzt. 23 sächsische Firmen beliefern zur Zeit Berndt Rüdiger Paul. „Wenn ich die Stunden und Tage zusammenzähle, die ich mit der Vorbereitung verbracht habe – das wäre für jede größere Ladenkette unrentabel“.

Die Idee zu „August dem Starken“ entstand, als der 49jährige Paul nach dem Fall der Mauer mit einer Delegation in der Mannheimer Partnerstadt Riesa weilte. Paul beriet sächsische Betriebe mit modernen Marketing-Strategien. Außerhalb Sachsens blieben Produkte aus dem Erzgebirge jedoch ebenso unbekannt wie unbeliebt. Ein Mißstand, den Paul für ungerechtfertig hält. „Vor dem Zweiten Weltkrieg war Sachsen wirtschaftlich die erfolgreichste deutsche Region, noch vor dem Ruhrgebiet.“ Das solide handwerkliche Können, das in dieser Region auch während der DDR-Zeit hochgehalten wurde, kann der Grundstein für das Wiedererstarken regionaler wirtschaftlicher Infrastuktur werden.

„Es kommt letztlich darauf an, möglichst viele Ostprodukte hier bekannt zu machen. Sachsen wird allerdings unser Angebot bestimmen“, sagt Paul, der nebenher gut besuchte Vorträge über die Stadtentwicklung Leipzigs sowie Besonderheiten der sächsischen Küche veranstaltet. Sogar die Frau des sächsischen Ministerpräsidenten, Susanne Biedenkopf, stattete „August dem Starken“ einen Besuch ab, um ihr Kochbuch über die sächsische Küche vorzustellen und zu signieren.

„August der Starke“ hat sogar ein Produkt importiert, das heute nicht einmal mehr in den neuen Ländern gefertigt wird: die Warteschlange. Der original Dresdner Christstollen waren zu Weihnachten ein derartiger Verkaufsschlager, daß die Kunden bis auf die Straße standen. Manfred Riepe