: V-Mann kassiert und fährt in Urlaub
Der Informant ein RAF-Aussteiger? / Er erhielt zur Belohnung 100.000 Mark / Polizeivideo eventuell manipuliert / Bad Kleinen sollte Auftakt einer großen Verhaftungswelle werden ■ Von Wolfgang Gast
Nach und nach sickern immer neue Details über die mörderische Schießerei auf dem Bahnhof in Bad Kleinen an die Öffentlichkeit. Der „dritte Mann“, der die Fahnder zu den RAF-Mitgliedern Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams führte und über dessen Existenz die Sicherheitsbehörden noch immer hartnäckig schweigen, ist nach Zeitungberichten entweder ein Mitglied der sogenannten Kommandoebene oder ein langjähriger Unterstützer der RAF gewesen. Die Bild-Zeitung berichtete in der gestrigen Sonntagsausgabe, daß der 43jährige V-Mann „Klaus V.“ des Verfassungschutzes in Rheinland-Pfalz mittlerweile nach Nordamerika in Sicherheit gebracht wurde.
Der 1,74 Meter große Mann soll sein Aussehen so verändert haben, daß selbst Freunde ihn kaum erkennen würden. Er kassierte dem Blatt zufolge die Belohung für die Ergreifung zweier RAF-Mitglieder von 100.000 Mark. Einen Großteil der Summe soll er schon erhalten haben.
Während Bild vermutet, daß es sich bei V-Mann „KLaus V.“ aus Wiesbaden um einen Symphatisanten der RAF handelte, hat die Welt am Sonntag den Informanten als „RAF-Aussteiger“ verortet. Zum Beweis der Ernsthaftigkeit seines Ausstieges soll er die Fahnder zu Hogefeld und Grams geführt haben, um deren Festnahme zu ermöglichen. Weiter berichtet die Zeitung, daß die gescheiterte Aktion in Bad Kleinen nur Teil einer geplanten großen Verhaftungswelle sein sollte. Mit Hilfe des „Aussteigers“ sollte es in nachfolgenden Polizeiaktionen zur Verhaftung weiterer RAF-Mitglieder kommen.
Für letzteres sprechen auch andere Berichte, wonach den Polizeibeamten bei der Observation des Kleinstadtbahnhofs vor dem mörderischen Einsatz ein Päarchen auffiel, das offenbar die Örtlichkeiten ausspähte. Die beiden wurden heimlich fotografiert, aber nicht überprüft. Fotos der beiden wurden erst nach der Schießerei an die Landeskriminalämter verschickt. Sie lösten nach dem desaströsen Einsatz in Bad Kleinen unter anderem in Dortmund und Wiesbaden ebenso panische wie ergebnislose Festnahmeaktionen aus.
Der Vorsitzende des Bonner Innenausschusses, Hans-Gottfried Bernrath (SPD), will den V-Mann aus den USA zurückholen lassen. Es müsse ermittelt werden, ob er geschossen habe.
Auch der Spiegel berichtet von neuen Ungereimtheiten. Von der Staatsanwaltschaft in Schwerin ist mittlerweile bestätigt worden, daß ihr ein Video-Band über den Einsatz in Bad Kleinen vorliegt. Dem Hamburger Magazin zufolge handelt es sich aber nur um eine drei Minuten lange Kopie, die möglicherweise sogar geschnitten wurde. So fehle der Ablauf der Schießerei auf dem Band vollständig. Zu sehen sei nur der auf den Gleisen liegende reglose Körper von Grams.
Der Film soll außerdem die festgenommene Hogefeld und den gefesselten V-Mann „Klaus“ zeigen. Die Bahnhofsuhr auf der Aufzeichnung stehe zunächst auf 15.45 Uhr, dann setze das Video nach 16 Uhr wieder ein. In zweite Teil der Aufnahme sollen dann die Markierungen zur Spurensicherung ganz anders liegen als am Anfang der Aufzeichnung. Als weitere Ungereimtheit bleibe, daß es angeblich keine Protokolle über den Funkverkehr bei der gescheiterten Festnahmeaktion geben soll. Normalerweise würden Funkprotokolle von den Polizeidienststellen automatisch angefertigt.
Am Wochendene ging beim Kölner Express das Schreiben eines „Kommando Grams, RAF“ ein, in dem Mordanschläge auf Mitarbeiter des BKA, des BND, des Verfassungsschutzes und der Antiterroreinheit GSG 9 angekündigt werden.
Der RAF oder ihrem Umfeld dürfte das Schreiben allerdings nicht zuzurechnen sein. In dem einseitigen Papier wird gedroht, auch Frauen und Kinder müßten mit ihrem „Blut und Leben“ für ihre Männer und Väter büßen. Derartige Drohungen sind bisher weder von der RAF noch ihrem Umfeld veröffentlicht worden.
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