: Von Schlegel zu Hitler
■ Léon Poliakov untersucht den „wissenschaftlichen Rassismus“
„Wir dürfen aber hoffen, daß einst auch Europa von aller jüdischen Mythologie gereinigt sein wird.“ (Schopenhauer) Die Russen „...sind keine Slawen, gehören überhaupt nicht zur indogermanischen Rasse, sind des intrus, die wieder über den Dnjepr gejagt werden müssen.“ und „diese Verbindung von Judentum und Germanentum mit der negerhaften Grundsubstanz müssen ein sonderbares Produkt (gemeint ist Ferdinand Lassalle) hervorbringen. Die Zudringlichkeit des Burschen ist auch niggerhaft.“ (Karl Marx) Wer erröten kann, ist ein Mensch; wer nicht, ist ein Neger (Lorenz Oken).
Diese kleine Auswahl „wissenschaftlicher“ Bemerkungen zur Rasse ließe sich unendlich fortsetzen. Gesammelt und in Beziehung gesetzt hat sie der französische Historiker Léon Poliakov in seinem Werk Der arische Mythos, das vom Hamburger Institut für Sozialforschung neu übertragen und veröffentlicht wurde. Poliakov untersucht in dem faktenreichen Buch den sogenannten „wissenschaftlichen Rassismus“ und zeigt, wie sich unter dem Deckmantel der Anthropologie und Philosophie Begriffe emanzipierten, die zum Legitimationsapparat der Nationalsozialisten montiert wurden.
Durch ganz Europa und die Werke von hochgerühmten Dichtern, Philosophen und Naturwissenschaftlern verfolgt er den latenten wie den offensiven Rassismus großer Geister und zeigt dabei die Spur auf, in der sich die Bezeichnung „Arier“ zum tödlichen Sprachinstrument der Nazis mauserte. Das bei Herodot entlehnte Kunstwort, das von Schlegel 1819 eingebürgert wurde, um die angebliche indische Ur-Rasse, aus der der Germane entstamme, zu bezeichnen, war in England und Frankreich zunächst weit populärer, als in Deutschland. Hier benützte man lieber den Terminus „Indogermane“, um sich gegen das biblisch behauptete „semitische Menschheitserbe“ abzusetzen.
Deutsche Philosophen und Schriftsteller wie Herder, Fichte, Leibniz oder Jacob Grimm werden Zeugen für eine Haltung, die sich stets um Hierarchisierung der Rassen (mit der weißen ganz oben, versteht sich) und den wissenschaftlichen Anstrich für diesen Chauvinismus bemühten. Aber auch französische Aufklärer wie Voltaire oder Diderot geben beredte Zeugnisse ab von dem unter Intellektuellen grassierenden Rassenwahn.
Poliakov, der im ersten Teil seines Buches die Herkunftssuche der europäischen Völker vor dem 18. Jahrhundert untersucht, bevor er im zweiten Teil die wissenschaftliche Instrumentalisierung von Rassenstolz und Halbwahrheiten beschreibt, liefert mit seiner akribischen Arbeit den erschütternden Beweis, daß der europäische Humanismus auch bei seinen genialsten Geistern nicht weiter als bis zum unmittelbar nächsten Nachbarn reicht. Die Feststellung, daß „der Abstand des Menschen zum Neger, dem des Negers zum Affen entspricht“ gehörte selbst im 19. Jahrhundert noch zum universitären Axiom, dessen sich auch die revolutionärsten Geister ganz unverschämt bedienten. Till Briegleb
Léon Poliakov, Der arische Mythos, Junius, 430 Seiten, 38 Mark
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